Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

230 
Vor dem Miederausbruch des Krieges. 
□□ 
von ausschlaggebender Bedeutung für den 
selben. 
Daher scheint es, daß die Aussichten für 
das Gelingen des Sturmes gering sind, es sei 
denn, das) die gemeldeten Streitigkeiten im 
türkischen Heere nicht beigelegt wurden und die 
Zerfahrenheit in der Befehlserteilung, sowie 
das nichtgesicherte Ineinandergreifen der türki 
schen Abwehr- und Gegenmaßregeln dem Feinde 
geradezu in die Hände arbeiten. 
Der Angriff auf die Tschataldschastellung er 
scheint aber auch bei einer in der Hand des 
Führers der Verteidigung befindlichen Besatzung 
nur nach längeren artilleristischen Kämpfen mit 
schweren Geschützen und Haubitzen ausführbar, 
trotzdem sich in den Werken keine gegen die 
moderne Artilleriewirkung gesicherten Räume 
befinden. Ob die Heranschaffung dieser Geschütze 
mit der dazu erforderlichen großen Munitions 
menge ausgeführt ist, entzieht sich der Beurtei 
lung, da infolge der mustergiltigen Geheimhal 
tung aller bulgarischen Anordnungen keine Aach 
richten in die Öffentlichkeit gedrungen sind. 
Wir referieren zum Schluß: Das Unter 
kommen für die türkische Besatzung soll jetzt 
leidlich, die Verpflegung der Leute aber gere 
gelter, der Zustand des Pferdebestandes jedoch 
schlecht sein. Die Epidemie ist als erloschen zu 
betrachten. 
Ein Gespräch mit dem türkischen Groß- 
wesir. 
Wie man in den Kreisen der neuen türki 
schen Regierung die Situation betrachtete, geht 
aus einer Unterredung hervor, die Großwesir 
Mahmud Schefket Pascha am 30. Januar dem 
Korrespondenten der „Reuen Freien Presse" ge 
währte. Der Korrespondent berichtet darüber: 
Ich wurde um 4 Uhr vom Großwesir emp 
fangen und bemerkte nach der Begrüßung: 
„Gratulieren kann ich Hoheit zur höchsten 
Würde bei den so schwierigen Verhältnissen, 
unter denen Sie Ihr Amt übernommen haben, 
nicht ohne Zögern." 
Großwesir: „Gewiß, Sie haben Recht, be 
sonders nach dem, was vorgefallen ist." 
„Hoheit, ist die Sofioter Meldung von der 
Kündigung des Waffenstillstandes richtig?" 
Großweflr, auf eine Depesche zeigend: „Lei 
der ja, um 3 Uhr erhielt ich von unserem Haupt 
quartier die Depesche des Generals Sawow, in 
der er den Waffenstillstand kündigt. Was sagen 
Sie dazu?" 
„Ich konnte der Meldung keinen Glauben 
schenken und hielt sie für bloße Taktik, vielleicht 
dazu bestimmt, zu verblüffen. Ist's also wahr?" 
Großwesir (lebhaft): „Allerdings, ich muß 
jedenfalls damit rechnen und von heute in 
4 Tagen, also Montag abends, geht der Krieg 
wieder los. Richt wahr, Sie staunen?" 
„Ich finde es sündhaft, nachdem Hoheit Ihr 
Äußerstes getan haben, um den Frieden zu 
schließen. Das war also genau eine halbe Stunde 
nach Überreichung Ihrer Antwortnote, die um 
halb 3 Uhr erfolgte." 
Großwesir: „War es erst halb 3 Uhr, ich 
weiß es nicht. Jedenfalls wollte unser Minister 
des Äußern, Prinz Said Halim, die Rote schon 
vormittags, während ich den Botschafter Mark 
grafen pallavicini von ihrem Inhalt in Kennt 
nis sehte, überreichen, sie erlitt aber durch eine 
Korrektur einen kleinen Aufschub." 
„War diese Korrektur etwa wesentlich?" 
Großwesir: „Ach nein) Jm französischen 
Text war eine Zeile versehentlich weggelassen, 
das war bald korrigiert, und vielleicht stünden 
wir jetzt vor dem Frieden, da kommt plötzlich 
diese Kündigung Sawows, die alle Bemühun 
gen der Großmächte um den Frieden vereitelt. 
Auch recht. Wir haben ein gutes Gewissen. Sie 
wissen, ich habe mein mühevolles Amt erst vor 
einer Woche übernommen, war lange fern von 
den Geschäften und mußte mich erst einarbeiten. 
Trotzdem haben wir rasch gearbeitet, um den 
Großmächten unseren guten Willen zu zeigen. 
Wie kann Bulgarien jetzt vor der Welt, vor 
der Geschichte diesen Bruch verantworten, der 
heillose Verwicklungen, ja einen Weltkrieg herauf 
beschwören kann!" 
„Ich glaube wirklich, daß die Türkei mit 
ihrem Zugeständnis der Teilung Adrianopels 
dem Frieden ihr alleräußerstes Opfer gebracht 
hat." 
Großwesir: „Sie kennen anscheinend bereits 
unsere äußersten Bedingungen. Wir hatten be 
reits Hunderttausende von Quadratkilometern 
hingegeben, wir waren jetzt sogar bereit, noch 
das rechte Marihaufer, gewiß den wirtschaftlich 
wertvolleren Teil, mit der Bahnstation Kara- 
gatsch abzutreten, wir haben die Lösung der 
Archipelfrage vertrauensvoll den Großmächten 
überlassen, welche gewiß nicht wollen, daß durch 
eine griechische Okkupation der Küsteninseln ein 
neues Makedonien geschaffen wird. Wir wollten 
nichts behalten als unsere unbezwungene Festung 
mit ihren, unserer Dynastie und allen Osmanen 
geheiligten Stätten, um des Friedens willen 
und um unsere nationale Ehre zu bewahren. 
Wie kann man nur so rücksichtslos sein, wegen 
eines so kleinen Gebietes einem tapferen Gegner 
die Ehre rauben und ganz Europa in Brand 
stecken zu wollen?" Ich bin dem Friedenswunsche 
der Großmächte — sagen und schreiben Sie es 
nur — zu 75 Prozent entgegengekommen, habe 
nur 25 Prozent für uns behalten, und die Geg 
ner sollten uns gar nicht entgegenkommen? 
Wenn Europa diesen Friedensbruch duldet, dann
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.