Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

Der Staatsstreich in Konstantinopel, 
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nommen hatte. Der Nusbruch des Balkan 
krieges trat seinen reformerischen Bestrebungen 
hindernd in den Weg. Der türkische General 
stab war durch seine Agenten schon anfangs 
September davon unterrichtet, dast die Balkan- 
staaten anormale Rüstungen betrieben. Trotzdem 
ordnete Ra)im Pascha Mitte September die 
Entlassung der )ur Waffenübung einberufenen 
Reservisten an und brachte die Türkei dadurch 
Gebetrufer. 
gesetzt, sondern ruhig weiter im Gefängnis )ur 
Verfügung des Sultans in Gefangenschaft ge 
halten. Man liest ihm nur jetzt etwas mehr Freiheit, 
)umal er während der strengen Einzelhaft schwer 
zuckerkrank geworden war und als unheilbar und 
deshalb nicht fluchtverdächtig galt. Trotz seines 
Leidens benutzte aber Ra)im, der ein Mann 
von groster Tatkraft und Entschlossenheit war, 
die ihm gewährten Vergünstigungen )ur Flucht. 
Es gelang ihm, aus der Festung 
)u entkommen. Er verkleidete sich 
als Arbeiter und arbeitete tatsäch 
lich mehrere Monate lang beim 
Strastenbau als gewöhnlicher Lohn 
arbeiter. Die Freiheit oder vielleicht 
auch die schwere körperliche Arbeit 
kurierte ihn von der im Gefängnis 
erworbenen Zuckerkrankheit und er 
arbeitete sich allmählich bis Batum 
durch, wo er von der soeben aus 
gebrochenen jungtürkischen Revo 
lution und ihren Folgen hörte. Da 
er völlig von Geldmitteln entblöstt 
war und es austerdem ratsam er 
schien, seine Verkleidung betzu- 
behalten, liest sich Ra)im Pascha 
kur) entschlossen auf einem gerade 
von Batum nach Konstantinopel 
abfahrenden Dampfer als Hetzer 
anwerben und erreichte auf diese 
Weise die türkische Hauptstadt, die 
er in den Händen der Jung- 
türken fand. 
Seine erste Tat nach der Lan 
dung war, sich von einem befreun 
deten Engländer 8 Pfund türkischer 
Währung )u borgen, um damit 
eine Generalsuniform )u kaufen. 
Angetan mit dieser Uniform er 
schien er vor dem „Komitee für 
Einheit und Fortschritt" und wurde 
von denselben Männern, die jetzt 
sein tragisches Ende verschuldet 
haben, mit offenen Armen emp 
fangen. Als die Verfassung pro 
klamiert wurde, erhielt er den Ober 
befehl über das 2. Armeekorps in 
Adrianopel. Bevor er sich auf 
seinen neuen Posten begab, bestand Ra)im Pascha 
jedoch darauf, dast die Schande seiner einstigen 
öffentlichen Degradation durch eine ebenso öffent 
liche Wiedereinsetzung in alle militärischen Ehren 
ausgemer)t werde. 
Als Kriegsminister war Ra)im Pascha 
der Rachfolger Mahmud Schefkets, dem die 
antijungtürkische Regierung misttraute. Er galt 
als sehr energisch und fachlich tüchtig und man 
erwartete von ihm die Durchführung der Re 
formen, die sein Vorgänger in Angriff ge 
in einen Zustand bedenklicher militärischer 
Schwäche. Er glaubte eben nicht an den Krieg, 
wie viele andere türkische und europäische Staats 
männer. In der Entlassung der Reservisten er 
blickten die jungtürkischen Offi)iere, die dem 
General aus der Zeit Abdul Hamids trotz der 
schweren Verfolgungen, die Ra)im gerade vom 
früheren Sultan )u erleiden gehabt hatte, mist 
trauten, einen nicht )u entschuldigenden Fehler, 
eine der Ursachen des Zusammenbruches der 
Armee. Sie warfen ihm ferner vor, die Ein
	        
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