Der Staatsstreich in Konstantinopel.
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sie vorbereitete, war Razim Pascha für die
Nusbrüche der Unzufriedenheit, die diese Ver
haftungen in gewissen Militärkreisen verursacht
hatten, empfänglich und riet zur Einigkeit. Er
hatte auch aus eigener Machtvollkommenheit
eine Anzahl politischer Gefangener freigelassen.
Man behauptet sogar, er habe mit Talaat und
mehreren anderen Mitgliedern des Komitees
beraten, um zu einem Einvernehmen zu gelangen.
Und nun ist Razim Pascha das Opfer des
Tages, während Kiamil verschont blieb.
Enver Bey hielt sich bei den Folgen der
schrecklichen Szene nicht lange auf. Während
Kurdischer Freiwilliger.
Als Enver und Talaat in den Saal ein
drangen, der an das Ministerratszimmer an
stößt, versuchte Rafiz Bey, Flügeladjutant des
Großwesirs, sie aufzuhalten. Revolverschüsse
wurden abgegeben und er fiel zu Boden. Eine
blutige Szene vervielfachte schnell die Zahl der
Opfer. Nus die Schüsse eilte ein Minister aus
dem Ministerrate herbei. Es war Razim Pascha.
Einer seiner Ordonanzoffiziere, Kabris Bey,
und der Hauptmann Tewfik begleiteten ihn.
Als Razim Pascha den Leichnam des Rast)
Bey sah, schrie er: «Diese Feiglinge! Diese
Hunde!" und machte sich bereit, sich zu ver
teidigen. Einer der Ein
dringlinge, Mustafa Red-
jib Bey, ein ehemaliger
Offizier wurde von einer
Kugel getroffen, die Ra
zim Pascha abfeuerte. Ob
wohl schwer verwundet,
hatte Redjib noch die
Kraft, auf den Minister
zu schießen. Ändere Ge
fährten von Enver und
Enver selbst gaben in
diesem Augenblick Schüsse
ab und in einem Augen
blick lagen 5 Körper auf
dem Boden. Razim Pa
scha, der eine tödliche
Wunde in der Brust und
eine andere im linken Auge
erhalten hatte, war im
Sterben. Tewsik, den
mehrere Kugeln getroffen
hatten, starb sofort.
Der Hauptmann Tew
fik war beim Ausbruch
des Balkankrieges nach
Konstantinopel zurückge-
kehrt. Er war Militär
attache in Paris, wo er
auf Fethi Bey gefolgt
war. Mustafa Redjib ist
jener Offizier, der beim
Ausbruch der Revolution von l yos den Wali
von Saloniki zu töten suchte und auf der Flucht
3 Verfolger tötete.
Ein Gerücht behauptet, daß die Körper von
Rafiz, Tewsik und einem dritten Opfer auch
Dolchwunden trugen. Ferner erzählt man, daß
es außer den Toten mehrere Verwundete gab,
denn Donnerstag um 9 Uf)t abends wurden
zur Hohen Pforte 9 Bahren des ägyptischen
Roten Kreuzes getragen.
In dem Schicksal Razims liegt eine furcht
bare Ironie: Während Kiamil die Anhänger
des jungtürkischen Komitees haßte, sie in Massen
hatte verhaften lassen und einen Prozeß gegen
man die Toten und die Sterbenden forttrug,
drang er in das Ministerzimmer und forderte
den Großwesir auf, „in Anbetracht der Er
hebung des Volkes gegen seine Politik" zu
demissionieren. Kiamil sagte, nachdem er einige
Augenblicke nachgedacht hatte: „Die den Krieg
wollen, sollen meinen Platz einnehmen!"
Die Iungtürken versichern, daß sie bis zum
Tage vor der Katastrophe an die Aufrichtigkeit
Kiamil Paschas geglaubt hätten, der versprach,
eher zu sterben, als Adrianopel abzutreten. Sie
hätten nur der öffentlichen Meinung gehorcht,
die über den Verlust der zweiten Stadt des
Reiches empört war und hätten nur eingegriffen,
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