Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

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Der Staatsstreich in Konstantinopel. 
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gehört der Gebrauch, den diese von dem Recht 
zur Revolution macht, zu den elementarsten 
Raturrechten. Das Volk übt heute dieses Recht 
aus. Ruf Grund dieses Rechtes trat heute 
das Kabinett Kiamil Pascha zurück. Das 
osmanische Volk wird seine Rechte in der euro 
päischen Türkei nicht aufgeben und dafür alle 
Opfer bringen. Es wurde deshalb vom Sultan 
gefordert, einen human denkenden und patriotisch 
gesinnten Mann mit der Herrschaft zu betrauen, 
einen Mann, der kein Bedenken trägt, alle 
Verteidigungsmittel der Ration zur Überwindung 
der bestehenden Schwierigkeiten zu benutzen und 
der die Ausnutzung der vorhandenen Mittel als 
Grundlage für den Erfolg betrachtet. Die 
Osmanen werden in der Folge zeigen, da» sie 
würdig sind, in der Weltgeschichte mit Ruhm 
und Ehre zu leben. Es lebe die Ration! Es 
lebe die Verfassung! 
Der neue Minister des Innern hat gestern 
an alle Vilajets und unabhängigen Sandschaks 
die folgende Zirkulardepesche gerichtet: 
Da das frühere Ministerium eine der Ver 
fassung zuwiderlaufende Verwaltung und Rich 
tung gegen die Wünsche und die Gefühle des 
Volkes einschlug, nahm die durch die Lage der 
Dinge geschaffene Erregung den Charakter einer 
öffentlichen Kundgebung an, welche einen 
Kabinettswechsel herbeiführte. Durch das Ver 
trauen des Herrschers neuerdings auf den Posten 
eines Ministers des Innern berufen, habe ich 
mein Amt in der Zuversicht auf den Beistand 
Allahs angetreten. Da ein Wechsel von Be 
amten aus persönlichen Gefühlen oder wegen 
Parteistreitigkeiten und ohne Rücksicht auf ihre 
Leistungen den guten Gang der Rmtsgeschäfte 
beeinträchtigen könnte, halte ich es für not 
wendig, die ganze Beamtenschaft zu versichern, 
das) sie auf ihrem Posten behalten werden soll, 
falls sie sich den ergangenen Befehlen fügt. Die 
hohen wie die niedrigen Beamten können über 
zeugt fein, daß sie im Amte bleiben werden, 
solange sie ihre Pflichten mit Vaterlandsliebe 
und Unparteilichkeit erfüllen. Die Pflichten der 
Beamten sind in den Gesetzen und offiziellen 
Instruktionen festgelegt, weshalb es erübrigt, 
ihnen hier besondere Verhaltungsmaßregeln zu 
geben. Ruf Grund der Gesetze haben sie dafür 
zu wirken, daß sich die Verfassung durchsetze 
und das Recht tätig angewendet werde. Ich 
habe nicht notwendig, auf die äußerste Empfind 
lichkeit der gegenwärtigen Lage hinzuweisen. 
Die Zukunft des Vaterlandes und die Über 
windung der drohenden Gefahren werden mög 
lich fein, wenn die Ration einig ist. Das Volk 
muß mehr denn je eines Strebens fein und die 
Beamtenschaft durch ihr gutes Beispiel für die 
Verbrüderung wirken. Ganz besonders empfehle 
ich, der Rufrechterhaltung von Ordnung und 
Sicherheit die größte Bedeutung beizumeffen 
und keine Verantwortung in dieser Hinsicht 
notwendig zu machen. Gezeichnet Talaat. 
Der Tod Razim Paschas. 
über den Tod Razim Paschas meldete der 
„Osmanische Lloyd" folgendes: 
Gestern wurde der Kriegsminister Razim 
Pascha, der bei den vorgestrigen Vorgängen auf 
der Hohen Pforte das Leben verlor, bestattet. 
Vorgestern war die Leiche gegen Mitternacht 
nach dem Hospital von Gülhane überführt 
worden, von wo sich gestern nachmittags um 
3 Uhr der Leichenzug unter zahlreicher Beteili 
gung nach derSuleimanieh-Mofchee in Bewegung 
fetzte. Erschienen waren unter anderen Marschall 
Mahmud Schefket Pascha, der erste Rdjutant 
des Sultans, Salieh Pascha, pertew Pascha 
vom großen Generalstab, der Mektubdschi des 
Ministeriums des Innern, Ruri Bey, als Ver 
treter des Ministers, Oberstleutnant Enver Bey, 
fast sämtliche Militärattaches und außerdem 
zahlreiche Offiziere. Die Truppen erwiesen die 
militärischen Ehren. Die Bestattung erfolgte auf 
dem Kirchhofe neben der Moschee. 
Uber die Umstände, unter denen Razim 
Pascha bei der Kundgebung am Donnerstag 
das Leben verlor, wird berichtet: 
Ein Ordonanzoffizier des Großwesirs Kiamil 
Pascha erkannte unter den Manifestanten eine 
ihm feindlich gesinnte Persönlichkeit, nahm an, 
daß diese etwas gegen ihn im Schilde führe» 
wie er zu seinem Rachbarn äußerte, zog feinen 
Revolver und gab auf sie einen tödlichen Schuß 
ab. Sogleich zogen mehrere der Manifestanten 
gleichfalls ihre Waffen und schoflen den er 
wähnten Ordonanzoffizier und einen benach 
barten Iivilbeamten nieder. Der Kriegsminister 
Razim Pascha hatte im Ministersaal den Lärm 
gehört, äußerte, daß er nachsehen wolle, was 
los fei, öffnete die Tür und trat in dieselbe, 
begleitet von seinem Rdjutanten, dem Haupt 
mann Tewfik Bey, der auch in Deutschland zur 
militärischen Ausbildung war. In diesem Augen 
blick siel die Salve, und beide, der Minister 
wie sein Rdjutant, wurden auf der Stelle töd 
lich getroffen. 
Bei der vorgestrigen Kundgebung wurden 
insgesamt 5 Personen getötet, nämlich: der 
Kriegsminister Razim Pascha,- der Rdjutant im 
Großwesirate, Leutnant Rasis Effendi; der 
Rdjutant im Kriegsministerium, Hauptmann 
Tewfik Bey, sowie zwei Zivilpersonen, Dschelal 
Effendi und Redschib Effendi.
	        
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