Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

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Die Botschafterreunion und die Balkanfragen. 
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Die Ländergier der Balkanstaaten und die 
Politik der Mächte haben diese gesunde, ethno 
graphisch richtige Abgrenzung nicht zugelassen. 
Wie klein Albanien unter diesen Verhältnissen 
schließlich geworden ist, werden wir sehen. 
Vicht einmal Skutari sollte Albanien nach 
den Wünschen der Alliierten erhalten bleiben: in 
den Forderungen der Balkandelegierten spielte das 
Verlangen nach der Übergabe dieser von Hassan 
Riza und Essad heldenmütig verteidigten Stadt 
eine große Volle. Derwisch Hima, der bekannte 
Albanesenführer, schrieb über die Skutarifrage: 
Skutari ist der am reinsten albanesische 
Distrikt von ganz Albanien. Es ist der älteste 
nationale Königssitz von Europa. Es genügt 
nur daran zu erinnern, daß vor mehr als 2000 
bahren Bardyllus, der illyrische König von 
Skutari, mit Philipp von Makedonien kämpfte. 
Gentius, Teuta und andere illyrische Fürsten 
residierten in Skutari, das die Hauptstadt 
Illyriens war, das ein unabhängiges Reich 
bildete, mögen auch die serbischen Diplomaten 
verbreiten lassen, daß unsere Ration niemals 
ein Reich gebildet und niemals eine Geschichte 
gehabt habe. 
Skutari ist auch der größte Distrikt Albaniens. 
Montenegro hat ihn weder jemals besessen, noch 
vermochte es ihn diesmal zu erobern, obwohl 
er fast von allem, was Regierung heißt, im 
Stiche gelassen wurde. Dieser Distrikt hat im 
Gegenteil unter den nationalen Paschas, die bis 
zum vergangenen Jahrhundert an seiner Spitze 
standen, vielmals Montenegro unterjocht. Er ist 
etwa gleich groß, wie das Königreich Monte 
negro, allein viel reicher (deshalb so sehr be 
gehrt), stärker handeltreibend und gewerbe 
fleißiger. Was die Stadt betrifft, so ist sie zivi- 
lisierter und vornehmer, als alle montenegrini 
schen Städte und vielleicht die älteste in Europa. 
Diese bedeutendste Stadt Albaniens versorgt 
das kleine benachbarte Königreich, wie jeder 
mann, der dort gereist ist, bezeugen kann, mit 
fast allen Handelsleuten und Gewerbetreibenden. 
Sogar die Rationaltracht des Königs wird in 
Skutari verfertigt. 
Warum also die Ansprüche Montenegros 
auf eine Stadt berücksichtigen, in der sich nicht 
einmal ein Montenegriner befindet, indes die 
Städte Cetinje und Rjeka soviel Albanesen wie 
Montenegriner zählen? Und warum die An 
sprüche der Albanesen auf eine so altberühmte 
Stadt nicht berücksichtigen, welche die „Skipe- 
tari" nicht allein als die historische Hauptstadt 
Albaniens, sondern auch heutzutage noch als 
in Kultur und Handel vorgeschritten betrachten 
und lieben; eine Stadt, die ihre Bewohner und 
Landsleute so heldenmütig verteidigen? Die 
Albanesen vermögen sich niemals in den Ver 
lust Skutaris zu schicken, weil sie damit auf 
ihre politische, kulturelle und wirtschaftliche 
Existenz verzichten würden. Europa stünde nach 
einer solchen Ungerechtigkeit vor neuen Unruhen, 
neuen Revolutionen. Skutari ist niemals völlig 
unterworfen worden, selbst nicht von den mäch 
tigen Römern und Türken, und wird auch von 
den Montenegrinern nicht unterworfen werden. 
Und ist es anderseits nicht ein Widersinn, 
dem Albanien, das man schaffen will, den 
Kopf abzuschlagen, und das nur darum, weil 
Montenegro sich bereichern will, ohne die Stadt 
einnehmen zu können? 
Sogar die Mohammedaner von Skutari 
haben die nationale Sprache und Gesinnung 
gepflegt und niemals hat fremder Einfluß diesem 
Distrikt seinen rein albanesischen Charakter zu 
rauben vermocht. Es leben in Skutari bloß 
100 Familien von Bäckern, Kupferschmieden 
und anderen Berufszweigen, die Orthodoxe sind, 
meist jedoch Kuhowalachen, Bulgaren und 
Griechen aus Unteralbanien und Mazedonien. 
Und außerhalb der Stadt gibt es bei einer 
Bevölkerung von 240.000 Seelen nur 120 ortho 
doxe Familien, während der Rest rein albanesisch 
ist. Richt einmal die Religion, die doch im 
Orient von so großem Einfluß ist, haben die 
Albanesen mit den Montenegrinern gemein, da 
sie zum größten Teil Katholiken sind, mit einem 
Rest von Mohammedanern, sämtlich in Sprache 
und Blut jedoch reine Albanesen. 
Wer die Montenegriner bereichern will, der 
möge ihnen soviel Gebiet der benachbarten 
Slawen geben, als er will; und wer die 
Albanesen opfern will, der gebe sie wenigstens 
einem namhafteren, reicheren und intelligenteren 
Volke als sie selbst es sind. 3m Gegenteil 
jedoch, ein höherstehendes Volk einem tiefer 
stehenden zu geben, nur weil es dessen Wunsch 
ist, ohne mit den Waffen obsiegen zu können, 
wäre die größte Ungerechtigkeit und ein politi 
scher Fehler.
	        
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