Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

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Unterbrechung der Zriedensverhandlungen. 
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auch am Montag an Adrianopel festhalten, 
aber in Thrakien weitere Zugeständnisse, die 
sich mehr auf den Richtlinien des Friedens von 
San Stefano halten werden, machen. Die 
ägäische Küstenlinie, die sie gestern den Bul 
garen offeriert haben, ist viel zu schmal; sie 
wird erweitert werden müssen. Die Türken 
dürften den Versuch machen, Adrianopel zu 
retten, indem sie den strategischen Wünschen der 
Bulgaren über die neue Grenzlinie in anderer 
Beziehung mehr entgegenkommen. Auch den 
Griechen dürften sie Montag manches dar 
bringen. 
Allerdings herrscht auch bei gewissen Mächten 
die Neigung, die Inseln oder einen beträcht 
lichen Teil derselben unter ein eigenes Regime 
zu stellen, sie nicht direkt unter die griechische 
Flagge zu bringen. Die Griechen bemühen sich, 
die Mächte zu überzeugen, das) dadurch nur der 
alte Konflikt weitergeschleppt werden würde, daß 
Hellas und die Türkei gegeneinander Flotten 
bauen würden und die alte wirtschaftliche Be 
deutung der Inseln, dem Zwischenhandel Mischen 
Ost und West M dienen, nicht voll entfaltet 
werden könnte. 
So sieht man denn dem Montag allgemein 
mit Ungewißheit, aber doch mit Hoffnung ent 
gegen. 
Ähnlich schätzte ein Balkandiplomat in 
Berlin die Situation ein. Der augenblicklichen 
Stockung der Londoner Beratung, sagte er, ist 
keine ernste Bedeutung für den schließlichen 
Ausgang der Verhandlungen betzumessen. Die 
Unnachgiebigkeit der Türkei ist nur ein Manöver, 
durch das die Friedensverhandlungen in die Länge 
gezogen werden sollen, denn es ist die Art der 
Türken, bis zum letzten Augenblick auf ein un 
erwartetes Ereignis zu hoffen, das sie aus ihrer 
Zwangslage befreit. Gegenwärtig rechnen sie 
mit einem Einschreiten der Mächte zu ihren 
Gunsten und drohen deshalb fortwährend mit 
politischen Umwälzungen und Revolten, die zu 
Fremdenmassakers führen könnten. 
Es ist ganz ausgeschlossen, daß Bulgarien 
von seinen Forderungen Mrücktreten wird. Ohne 
Adrianopel gibt es keinen Frieden. Bulgarien 
ist auch darauf gefaßt, den Krieg fortzusetzen 
und die öffentliche Meinung drängt sogar dazu. 
Trotzdem wird es so weit nicht kommen, denn 
die Türkei kann keinen Krieg mehr führen. 
Die Stellung an der Tschataldschalinie ist zur 
Aufnahme der Offensive ganz untauglich und 
würde nicht einmal für eine längere Defensive 
hinreichen. 
Aach dem bisherigen Verlauf des Krieges 
ist es für die Türkei eine große Errungenschaft, 
wenn sie Konstantinopel behalten darf. Diesen 
Vorteil sollte sie nicht durch altzugroße Unnach 
giebigkeit in Frage stellen. Wenn Adrianopel 
jetzt türkisch bliebe, so wäre die Folge davon, 
daß nach einigen Jahren ein neuer Krieg mit 
Bulgarien ausbräche, der die Türkei endgiltig 
aus Europa verdrängen würde. Heute hat 
Bulgarien kein Interesse daran, Konstantinopel 
zu besitzen. In wenigen Jahrzehnten vielleicht 
könnte es dieses Interesse haben und außerdem 
die Macht besitzen, um Konstantinopel dauernd 
zu behaupten. 
Das beste, was die Türkei jetzt, wo sie 
ihren europäischen Besitz verloren hat, tun kann, 
ist, daß sie sür die Erhaltung ihres asiatischen 
Besitzstandes sorgt, denn wenn sie nicht ein 
schneidende Verfassungsänderungen vornimmt, 
so wird auch in Asien ihre Herrschaft bald ins 
Wanken kommen. Die Zeit ist nicht mehr fern, 
wo die Armenier, die Araber, die kleinasiati 
schen Griechen und wohl auch manche europäi 
sche Großmächte ihre Forderungen an die 
Türkei präsentieren werden. 
Zu den Ehancen der Londoner Friedens 
verhandlungen zurückkehrend, sprach der Balkan 
diplomat auch über die albanesische Frage. Die 
Angelegenheit des serbischen Adriahafens, sagte 
er, ist durch den Beschluß der Botschafter 
konferenz prinzipiell geregelt. Wenn Serbien 
bisher seine Zustimmung zu diesem Beschluß noch 
nicht offiziell notifiziert hat, so ist doch an seinem 
Einverständnis nicht zu zweifeln, aber Serbien 
zögert mit einer sormellen Erklärung so lange, 
bis die Grenzen des neuen Albanien von den 
Mächten festgelegt sind. Wenn diese Grenzen 
in die nationale Sphäre der Nachbarländer 
übergreifen, dann würde Serbien selbstverständ 
lich Einspruch erheben und es hätte auch die 
übrigen Verbündeten auf seiner Seite, denn ein 
Albanien, das etwa Ipek, prizrend, Skutari 
und Ianina umfaßt, würde keinem der Balkan 
staaten angenehm sein und von ihrem Stand 
punkt aus eine zu bedeutende Macht darstellen. 
Außerdem würde die ohnehin nicht bewiesene 
Lebensfähigkeit des neuen Albanien durch die 
fremden Bestandteile erheblich in Frage gestellt 
werden. 
Was die Verfassung von Albanien betrifft, 
so würden die Balkanstaaten ein gänzlich unab 
hängiges Albanien vorgezogen haben, doch 
werden sie sich nicht widersetzen, wenn Europa 
dem türkischen Selbstgefühl zuliebe für die 
Suzeränität des Sultans über das neue Fürsten 
tum eintritt. 
Schließlich kamen auch die zwischen Rumänien 
und Bulgarien schwebenden Fragen zur Sprache. 
Der Balkandiplomat ist der Ansicht, daß ernste 
Komplikationen zwischen den beiden Ländern 
nicht zu befürchten seien. Die Forderungen 
Rumäniens sind kaum so groß, daß Bulgarien 
nicht ohne weiteres in eine Diskussion eintreten 
könnte. Es liegt übrigens auch im Interesse
	        
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