Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

Unterbrechung der Zriedensverhandlungen. 
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zu erwarten und werde nach Abbruch der Ver 
handlungen sofort nach Konstantinopel zurück 
kehren. Die neuen Instruktionen sollten besagen: 
die Pforte hält an dem Besitz der Archipel 
inseln und an der für das Vilajet Adrianopel 
festgesetzten Grenze fest. 
Es wurde aber auch aus Konstantinopel 
gemeldet, der Ministerrat, der das Ultimatum 
der Balkandelegierten beriet, habe sich in zwei 
Gruppen gespalten: die eine, an deren Spitze 
der Großwesir stand, setzte die Beratung über 
die Friedensfrage fort, die zweite, welche aus 
dem Marine-, dem Finanz-, dem Evkafminister 
und dem Unterstaatssekretär im Großwesirat be 
stand, beschäftigte sich mit der Frage der Flotten 
aktion. 
Vertagte Entscheidung. 
Am 4. Januar sollte nachmittags 4 Uhr 
das Ultimatum der Balkandelegierten ablaufen. 
3m letzten Augenblick aber hat der türkische 
Delegierte Reschid Pascha mit dem serbischen 
Delegierten Vovakovic, der in dieser Sitzung 
den Vorsitz führen sollte, vereinbart, die Sitzung 
bis Montag, 6. Januar, 4 Uhr nachmittags, zu 
vertagen, um es den türkischen Delegierten zu 
ermöglichen, aus Konstantinopel neue Instruk 
tionen einzuholen. 
Uber diesen Vorgang und seine Beurteilung 
in London wurde gemeldet: 
Die Friedenskonferenz ist heute, noch bevor 
sie eröffnet worden war, auf Wunsch der türki 
schen Delegierten bis Montag vertagt worden. 
Die Alliierten gingen auf den Wunsch der 
Türken um so bereitwilliger ein, als sie ja 
gestern selbst Montag als den nächsten Sihungs- 
tag vorgeschlagen hatten. 
Die heutige Vertagung hat überall eine 
wahre Erleichterung hervorgerufen, weil der Ab 
bruch der Verhandlungen und das Ultimatum 
so hinausgeschoben erscheinen und weil die Alli 
ierten selbst die Hoffnung ausdrücken, daß die 
Türken bessere Bedingungen stellen werden. 
Vach der Ansicht der diplomatischen Kreise 
war das von vornherein klar und die kriegeri 
schen Äußerungen mancher Balkanpolitiker rein 
taktischer Vatur. Es unterliegt nur geringem 
Zweifel, daß die heute eingetretene Wendung 
dem Einfluß der Mächte zuzuschreiben ist. Die 
Botschafter traten schon vormittags zu ihrer 
Reunion zusammen und es war wohl kein Zu 
fall, daß Sir Edward Grey einzelnen Balkan 
delegierten, die auf dem Wege zur Sitzung der 
Balkankonferenz kurz vor 3 Uhr im Aus 
wärtigen Amt vorsprachen, mitteilen konnte, daß 
die Konferenz heute nicht stattfinden werde. 
Sir Edward Grey wußte früher als manche 
Balkandelegierte, daß die Türken vom Serben 
Vovakovic den Aufschub verlangt und der Auf 
schub bewilligt worden war. 
Bei den Ratschlägen, die gestern nacht und 
heute morgen den Türken erteilt wurden, haben 
die Mächte durchaus nicht die allgemeine An 
sicht geteilt, daß die Türken sich heute zu 
weiteren Konzessionen außerstande erklären und 
so den Abbruch der Verhandlungen herbei 
führen würden. Die Türken betrachteten ihre 
gestrigen Vorschläge nur als Basis für weitere 
Verhandlungen. Man vermutet, daß sie schon 
gestern zu weiteren Konzessionen ermächtigt 
waren, als sie proponierten, aber den Rest vor 
läufig zurückbehalten wollten. Als aber darauf 
die Alliierten das Ultimatum bis Montag 
stellten, beeilten sich die Türken, die Sitzung 
für heute zu verlangen, um den Rest ihrer Kon 
zessionen zu machen. 
Diese waren jedoch offenbar so gering, daß 
die Mächte angesichts der Stimmung der Alli 
ierten dringend rieten, weitere Instruktionen von 
Konstantinopel einzuholen und zu diesem Zwecke 
die Vertagung bis Montag zu fordern. Bei 
dieser Einwirkung haben die Mächte weder die 
überaus empfindlichen innerpolitischen Verhält 
nisse Konstantinopels noch die delikate Stellung 
der türkischen Friedensdelegierten, deren guter 
Wille selbst von den Alliierten anerkannt ist, 
außer acht gelassen. 
Die Türken haben gestern nicht nur den 
Bulgaren, ganz abgesehen von Adrianopel, viel 
zu wenig geboten, sondern auch unbegreiflicher 
weise den Griechen, von Kreta abgesehen, gar 
nichts geboten. Dadurch haben sie die Griechen, 
die bei aller Bundestreue während der ganzen 
Konferenz notorisch mäßigend gewirkt haben, 
ganz unnötig verstimmt; unnötig auch deshalb, 
weil gewisse Großmächte die griechischen Aspi 
rationen mit kritischen Augen betrachten und die 
Türkei nicht das ganze Odium auf sich zu 
nehmen brauchte. Zudem haben die Griechen es 
auch den Türken gegenüber nicht an Argumenten 
fehlen lassen, um ihnen die Abtretung der 
Agäischen Inseln plausibel zu machen. Sie 
haben darauf hingewiesen, daß der Archipel 
immer, schon in vortürkischer Zeit, eine nationale, 
wirtschaftliche und auch Verwaltungseinheit ge 
bildet, daß er mangels einer türkischen Flotte 
für die Türkei keinen militärischen Wert hat, 
daß er einen Pfahl im Körper der Türken 
bildet und ihre Konsolidierung verhindert, daß 
die Griechen bereit sind, den militärischen Be 
denken, die sich durch die Vähe mancher Inseln 
zu den Dardanellen oder zur asiatischen Küste 
ergeben, durch entsprechende Garantien ent 
gegenzukommen. 
Man erwartet, daß die Türken Montag 
weitere, aber noch nicht die äußersten Zuge 
ständnisse machen werden. Sie werden wohl
	        
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