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Schleppender Gang der Friedensverhandlungen.
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delegierten erweckte dies den Eindruck, daß
diese sogenannten Reformen eine Art Autonomie
für diese Inseln bedeuten dürften, obgleich ein
Kompromiß nicht unwahrscheinlich sei, und zwar
in dem Sinne, daß einige Inseln an Griechen
land abgetreten werden könnten, während der
Rest türkisch bleiben würde.
In den Kreisen der Balkanvertreter gab
man der Zufriedenheit mit den Ergebnissen der
gestrigen Sitzung Ausdruck.
Weniger hoffnungsvoll äußerte sich der
bulgarische Chefdelegierte Dr. Danew. Er sagte
unter anderem:
Die Lage der Dinge hat sich nicht so sehr
gebessert, wie die Leute anzunehmen scheinen.
Man muß sich vor Augen halten, daß die
Türkei von Anfang an immer sagte, sie würde
gewisse Gebiete in Makedonien, im Epirus und
in einem Teile Thrakiens abtreten. Das ist ja
gut; es bleibt aber die Frage von Adrianopel.
Das ist der Hauptpunkt und ich kann in bezug
auf ihn keine Besserung sehen. Wir erwarten
eine neue Karte mit einer Ratifikation der
türkisch-bulgarischen Grenze. Wenn wir in der
morgigen Sitzung finden, daß diese den Be
dingungen der Verbündeten nicht entspricht und
uns nicht befriedigt, werden die Verhandlungen
abgebrochen werden.
Die zweite Schwierigkeit bilden die Agäi-
schen Inseln. Auch hier bestehen wir auf unseren
Bedingungen. Es liegt kein Grund zur An
nahme vor, wie sie in gewissen Kreisen zu be
stehen scheint, daß wir geneigt wären, unsere
Ansprüche gegenüber der Türkei zu ändern. Sie
bleiben dieselben, wie sie ursprünglich festgesetzt
wurden.
Was immer wir später mit den Mächten
abmachen werden, hat mit unseren Verhand
lungen mit der Türkei nichts zu tun. Die otto-
manische Regierung kennt unsere Bedingungen
und an ihnen halten wir fest. Wir haben keine
anderen Vorschläge zu machen. Man verschließt
sich ja nicht dem Fortschritte, der gestern gemacht
wurde, aber ich bitte nicht zu vergessen, daß
nichts Wesentliches erreicht worden ist. Hoffen
wir, daß dies morgen der Fall sein wird.
In Konstantinopel war die Stimmung
ziemlich hoffnungsvoll. Man berichtete darüber
unterm 2. Januar aus der türkischen Haupt
stadt:
Der Ministerrat, der um 2 Uhr nachmittags
zusammentrat und zurzeit (7 Uhr abends) noch
andauert, nahm die gestrigen Verhandlungen
der Friedenskonferenz zur Kenntnis und be
schloß neue Instruktionen, die den ottomanischen
Bevollmächtigten übermittelt werden.
Wie es heißt, bestehe die Pforte noch immer
auf dem Besitz des Vilajets Adrianopel bis
Fänthi und stimme einer Grenzberichtigung zu,
der nicht der Charakter von Gebietsabtretungen
anhafte. Die Pforte bestehe weiter auch auf
dem Besitz der Inseln des Archipels und willige
ein, die Entscheidung der Mächte betreffs Kretas
und der Gebiete westlich des Adrianopeler
Vilajets gemäß den allgemeinen Interessen an
zunehmen.
Eine maßgebende Persönlichkeit im Mini
sterium des Äußern erklärte, daß die Verhand
lungen sich auf dem besten Wege zum Frieden
befinden, ohne daß man irgendeine bestimmte
Erklärung abgeben könnte. Bezüglich der Städte
Adrianopel und Kirkkilisse glaubt man in den
selben Kreisen, Bulgarien könnte eventuell auf
Adrianopel verzichten. Diplomatische Kreise sind
der Anschauung, Adrianopel könnte türkisch
bleiben, die Befestigungen jedoch sollten geschleift
werden.
„Ifham" meldet, Ministerpräsident Geschow
habe dem Großwesir telegraphisch mitgeteilt,
daß der bulgarische Ministerrat beschlossen habe,
Adrianopel mit seinen Befestigungen unter der
Souveränität der Türkei zu belassen. Die Pforte
dementiert diese Rachricht.
Alle türkischen Abendblätter legen großen
Optimismus an den Tag und glauben, daß
der Friede binnen 10 Tagen gewiß geschloffen
sein werde. Ein Blatt meint, daß betreffs der
Grundlagen bereits ein vollständiges Einver
nehmen hergestellt sei. Die Presse bearbeitet die
öffentliche Meinung, indem sie darlegt, daß es
ein großer Erfolg wäre, Adrianopel zu retten.
„Alemdar" erfährt, daß verschiedene be
kannte Persönlichkeiten in Europa dahin wirken,
daß Saloniki in eine Freistadt mit einem vom
Volke gewählten Gouverneur an der Spitze
umgewandelt werde.
Weniger optimistisch lauteten die offiziellen
Mitteilungen aus Konstantinopel. Der Minister
des Äußern erklärte am 2. Januar abends auf
der Pforte dem Korrespondenten des Wölfischen
Telegraphenbureaus, die Pforte habe ihren
Delegierten in London neue präzise Instruktionen
gesendet, die ihnen gestatten, die Delegierten
des Balkanbundes wissen zu lassen,, daß die
Pforte keine Insel des Agäischen Meeres ab
treten könne, daß sie dagegen geneigt sei, einige
Rektifikationen der Grenzen des Vilajets Adria
nopel vorzunehmen, das aber vollkommen der
Türkei verbleiben müsse.
Weiter führte der Minister aus, daß jetzt
ein größerer Schritt zum Frieden getan sei,
wenn auch nur zunächst eine Einigung über
das Schicksal Albaniens und Mazedoniens vor
handen sei, die unter der Suzeränität des
Sultans bleiben.
Von einem gesicherten Frieden zu sprechen,
gehe aber zu weit, da die Türkei betreffs
Adrianopels unerbittlich sei und unbedingt den