Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

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Schleppender Gang der Zriedensverhandlungen. 
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Pascha mit seinem Stab in einem Sonderzug 
an die Tschataldschalinie abreiste. Die Militärs 
erklärten, zur Aufnahme der Offensive bereit zu 
sein. Die Zahl der Truppen bei Tschataldscha 
wird mit über ) 80.000 angegeben, darunter 
große Massen kurdischer weiter. Die sanitären 
Verhältnisse sind seht ziemlich gute, die Cholera 
hat abgenommen und die Soldaten leiden nur 
unter der großen Kälte, da es namentlich an 
Schuhwerk mangelt. Die Verproviantierung ist 
geregelt und Munition in großen Mengen vor 
handen. Ruf der Pforte langen ununterbrochen 
telegraphische Bitten der Offiziere von der 
Front ein, die Vorwärtsbewegung anzuordnen. 
Der Widerstand der Pforte gegen die 
Forderungen der Balkanstaaten ist nicht zuletzt 
auf neue Hoffnungen auf eine Spaltung unter 
den Balkanstaaten zurückzuführen. Man glaubt 
hier von einer Verschlechterung der Beziehungen 
Bulgariens zu Rumänien zu wissen und rechnet 
mit dem Umstand, daß Bulgarien nur seitens 
der Serben militärische Hilfe akzeptieren würde. 
Inzwischen fahren die Mächte fort, der Pforte 
freundschaftliche Ratschläge für ein Einlenken 
zu erteilen, und es sind namentlich die Bot 
schafter Markgraf pallavicini und v. Giers, 
also der österreichische und der russische, die im 
Sinne einer Vermittlung tätig sind. 
Die Sitzung vom 30. Dezember 1912. 
Mit größter Spannung wurde die Sitzung 
der Friedenskonferenz vom 30. Dezember er 
wartet. Der erste kurze Bericht über diese 
Sitzung lautete: 
Die Friedenskonferenz, die um 4 Uhr nach 
mittags zusammentrat, vertagte sich um 5 Uhr 
bis Mittwoch 3 Uhr nachmittags. 
Den Vorsitz in der heutigen Sitzung führte 
Dr. Danew. 
Die türkischen Delegierten erklärten, ihre 
Instruktionen seien unvollständig und sie müßten 
noch nach Konstantinopel Bericht erstatten. 
Cs lag bei ihnen die Geneigtheit vor, ge 
wisse Teile der Friedensbedingungen zu erörtern, 
doch widersetzten sich dem die Delegierten der 
Verbündeten. 
Ein ausführlicheres Telegramm besagte: 
Das Ergebnis der heutigen Sitzung der 
Friedenskonferenz ist erstens, daß eine Ver 
mittlung der Mächte, soweit es auf die Kon- 
ferenzparteien ankommt, ziemlich nahegerückt ist, 
und zweitens, daß die Türken die Frage der 
Zukunft des Sandschaks von Rovibazar aus 
werfen wollen. 
Uber den Verlauf der Sitzung kann folgen 
des mitgeteilt werden: 
' Die türkischen Delegierten erklärten, die 
gewünschten neuen Instruktionen mit den Vor- 
schlügen der Pforte erhalten zu haben, doch 
seien einzelne Teile der Depesche noch nicht 
dechiffriert, andere nicht ganz klar, es müsse 
also der Rest noch dechiffriert, beziehungsweise 
Rufklärung von Konstantinopel eingeholt werden. 
Immerhin seien aber die türkischen Delegierten 
schon jetzt imstande, über den allgemeinen Tenor 
der Vorschläge der Pforte Mitteilungen zu machen. 
Die Pforte halte es für angezeigt, daß 
manche Fragen von der Konferenz direkt gelöst 
werden, z. B. die Frage der zukünftigen türkisch 
bulgarischen Grenze, andere Fragen aber den 
Großmächten zur Vermittlung unterbreitet 
werden, z. B. die Frage der Zukunft des 
Sandschaks von Rovibazar. 
Die türkischen Delegierten luden hierauf die 
anderen Delegierten zu einer Diskussion auf 
dieser Grundlinie ein. Dies lehnten die Balkan 
delegierten mit großer Entschiedenheit und nicht 
ohne Schärfe ab. Die von den einzelnen 
Delegierten abgegebenen Erklärungen betonten 
einmütig, daß die Friedenskonferenz gleich am 
ersten Tag in ihrer Geschäftsordnung festgesetzt 
habe, alle Vorschläge müßten schriftlich gemacht 
werden. Dies sei aber bei den Vorschlägen der 
türkischen Delegierten nicht der Fall. Rber selbst 
wenn man von diesem formalen, jedoch auf 
guten praktischen Gründen beruhenden Einwand 
absehe, seien die Äußerungen der türkischen 
Herren nicht einmal mündliche Vorschläge im 
diplomatischen Sinne. Wenn aber die türkischen 
Delegierten ihre Vorschläge in definitive schrift 
liche Form brächten, seien die Balkandelegierten 
bereit, darüber in eine vorläufige Diskussion 
einzutreten. 
Die Verhandlung wurde darauf unterbrochen, 
um den Türken Gelegenheit zu einer privaten 
Besprechung zu geben. Sie kehrten aber in den 
Konferenzsaal mit der Entscheidung zurück, doch 
lieber warten zu wollen, bis ihre aus Konstanti 
nopel eingetroffene Depesche ganz dechiffriert 
sei, und baten um eine Vertagung. 
Diese wurde auch bis Mittwoch, 1. Zanuar, 
beschlossen', doch drückten die Balkandelegierten 
ziemlich kategorisch den Wunsch und die Er 
wartung aus, daß es nach so vielen Verzöge 
rungen am Mittwoch endlich möglich sein werde, 
die Verhandlungen wirklich zu beginnen. 
Daß die Türkei die Mächte, die mit gutem 
Rat so rasch und eifrig bei der Hand waren, 
zu interessieren suchte, und speziell die Frage 
des Sandschak Rovibazar in die Diskussion 
warfen, von der sie wußten, daß sie Österreich- 
Ungarn einmal recht wesentlich interessiert habe, 
war kein übler Schachzug; er blieb nur deshalb 
wirkungslos, weil die Mächte, aus lauter Furcht 
vor Komplikationen, davor zurückschreckten, auch 
einmal in einem der Türkei günstigen Sinne 
in die Diskussion einzugreifen.
	        
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