Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

Zwischen Krieg und Frieden. 
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der Vorbereitungen auf dem griechischen Kriegs 
schauplätze persönlich überzeugt hatte. In der 
Nacht zum Dienstag rückten zum erstenmal seit 
Beginn des Waffenstillstandes größere Verbände 
regulärer Truppen zum Bahnhöfe, gefolgt vom 
kleinen Troß. 
Vielleicht ist es auch keine unbegründete 
Maßnahme, daß bei der gegenwärtigen Ebbe 
an Verwundeten das Notlazarett in der Tasch- 
kischla auf bedeutenden Zustrom eingerichtet 
worden ist und daß die ganze Armee zwangs 
weise geimpft wird. 
Für einen nahen Frieden würde die Tatsache 
sprechen, daß man die mehrfach erwähnten 
30.000 Kurden nicht nach Tschataldscha dirigiert 
Hat, sondern sie auf der kleinasiatischen Seite 
zurückhält. Diese Truppen haben schon auf dem 
Hermarsche von Kurdistan weidlich geplündert 
und es wären die Folgen ihrer Enttäuschung 
nicht abzusehen, wenn sie gerade zur Zeit des 
Friedensschlusses in der Hauptstadt einträfen. 
Zudem werden sie in der Nähe ihres neuen 
Standortes, nämlich bei Chanak-Kalessi, zum 
Schutze der Dardanellen gegen Landungs 
versuche der Griechen gute Dienste leisten können. 
Endlich sei angeführt, daß man hier an offizieller 
Stelle bestimmt geäußert hat, der Orientexpreß 
werde bereits Mitte Februar wieder verkehren. 
Sind doch nur 30 Kilometer des Schienen 
stranges zerstört) Daß es trotz des Waffen 
stillstandes allerorten zu Angriffen auf die 
Türken gekommen ist, hat dank der Selbst 
beherrschung der türkischen Truppen nicht zu 
einem völligen Bruche des Waffenstillstandes 
und somit zur Schädigung der Friedens 
verhandlungen geführt. Die Vorfälle beweisen 
nur von neuem die politische Unreife der 
Balkanstaaten. So hat man bei diesen Völkern 
für viele offizielle Einrichtungen, die man aus 
Westeuropa importiert hat, noch nicht das volle 
Verständnis. Ich erinnere daran, daß die Bul 
garen die weiße Fahne auf einem belagerten 
Gehöfte hißten und dann die arglos eindringen 
den Türken auf dem Hofe niedermetzelten, daß 
sie sich als „Kriegslist" türkischer Uniformen 
bedienten usw. 
Wie die Bahnstrecke Sofia—Wien, so ist 
auch die Strecke Konstantinopel—Tscherkesköj 
längst wieder im Betrieb. Am häufigsten sieht 
man in den Zügen Mitglieder des ägyptischen 
Noten Halbmondes und des indischen Noten 
Kreuzes. Beide Expeditionen waren speziell für 
den Frontdienst mustergiltig ausgerüstet und 
sind deshalb nach vorn dirigiert worden. Die 
Inder hatten sogar 50 kräftige Maulesel selbst 
mitgebracht, da die Ambulanzen schwer unter 
dem Mangel an Beförderungsmitteln litten. 
Die stationären Expeditionen in der Hauptstadt 
sehen ihre Mission ganz oder teilweise erfüllt 
und fahren in die Heimat zurück. Bei der so 
plötzlichen Abreise des rumänischen Noten 
Kreuzes erhielt sich hartnäckig das Gerücht, 
Mischen Bukarest und Sofia sei es zu so 
ernsten Unstimmigkeiten gekommen, daß Nu- 
mänien die Ambulanz zur eigenen Verfügung 
halten müsse. 
Am vorigen Samstag gab der Stadt 
kommandant im Hotel Tokatlian ein Abschieds 
bankett für die Arzte und hervorragendsten 
weiblichen Mitarbeiter in der Sanitätshilfe. Es 
wurde allgemein bemerkt, daß französischen 
Damen bereits der Schefekatorden 1. und 
2. Klaffe verliehen worden war. Neidische be 
haupteten, die Geschwindigkeit der Verleihung 
sei nicht ganz proportional dem Verdienste ge 
wesen. Von den Tafelreden sei erwähnt die 
kurze, markante Ansprache des Dr. Liebelt, der 
in seiner Eigenschaft als Chefarzt der ersten 
deutschen Noten Kreuz-Expedition zugleich im 
Namen der Kollegen sprach. Sein Hinweis 
auf die allgemeine, unerschütterliche Türken 
freundschaft im deutschen Volke machte auf die 
Gastgeber sichtlichen Eindruck. 
Sollte also der Frieden jetzt mit ungünstigen 
Bedingungen angenommen werden, so erwartet 
man bestimmt den Ausbruch einer Nevolution 
gegen die angeblich schuldige Negierung. Dieses 
unglückliche Land soll eben niemals zur Nuhe 
kommen) Selbstverständlich sucht man in der 
jetzigen kritischen Lage Ausflüchte. Es sei mit 
größter Energie dagegen protestiert, daß neuer 
dings auch türkische maßgebende Persönlichkeiten 
die Schuld des Kriegsunglücks auf die deutschen 
Lehrer wälzen wollen, und zwar darunter 
Personen, die zu den Fahnen Abdul Hamids 
schwören, der die deutschen Instrukteure in die 
Armee berief, um sich Deutschlands Freundschaft 
zu sichern, ihnen aber in seiner Furcht vor 
Neuerungen nicht das geringste Eingreifen ge 
stattete. Wäre der Plan der einst deutschen — 
jetzt selbstverständlich türkischen — Generalstabs 
offiziere befolgt worden, die Gesamtarmee im 
Falle eines allgemeinen Balkankrieges bei 
Tschataldscha zu mobilisieren und erst nach vor 
geschrittener Mobilisation avancieren zu lassen, 
so wäre schon vieles besser gewesen. Niemand 
war entrüsteter als der türkische Generalstab, 
als Nazim Pascha ungeduldig den Vormarsch 
anordnete und die bis dahin programmäßig 
organisierte Armee in eine ungeordnete, dadurch 
schon moralisch geschlagene Horde verwandelte. 
Als ich heute zum Selamlik kam, war ich 
aufs höchste überrascht: Der Sultan hielt eine 
Besichtigung seiner Gardekavallerie, der zuver 
lässigen Feuerwehr-Polizeitruppe, der Offiziers 
schüler, eines Detachements Infanterie und vor 
allem der arabischen, frischen Hilfstruppen ab. 
Ich verschaffte mir die Gelegenheit, der Parade
	        
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