Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

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Vom maritimen Kriegsschauplatz. 
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worden ist. Rachts erhellen es gespendete Kerzen 
und bei Tage flieht oft das Blut geschlachteter 
Hammel in eine kleine Grube zu Häupten des 
Grabes, wenn aus besonderem Anlasse ein 
Wohlhabender zugunsten der Armen ein Tier 
spendet. Am Sonntag morgens wurden 9 Hammel 
}ü den Hodschas gebracht. Ein Prophetenenkel 
im grünen Turban erhob die Stimme zum 
Gebet. Die vorübergehenden und anwesenden 
Muselmanen versammelten sich um ihn, die 
Handflächen zum Himmel gekehrt. Schneller 
und schneller flössen des Priesters Worte, immer 
lauter und inniger wurde sein Flehen. Die tiefe 
Bewegung des Alten pflanzte sich auf die 
Menge fort: in ergriffenem Ernste sangen sie 
laut den Refrain und Tränen fielen auf die 
Uniformen. Aach dem Gebete wurden die 
Hammel schnell hintereinander rituell geschlachtet, 
an einem Baume hängend ausgeweidet und 
verteilt. 
Um 8 Uhr 80 Minuten verlies) das große 
weihe Lazarettschiff langsam den Hafen. Um 
9 Uhr 45 Minuten erst begann das tiefe 
Brummen der Schiffsgeschütze. Zwischen Kum 
Kale und den Eselsinseln hatte der Kreuzer 
„Medschidijeh" das Gefecht eröffnet. Ich warf 
mich aufs Pferd und galoppierte der Höhe von 
Benköj zu. Das Geschützfeuer von beiden 
Flotten dauerte heftig bis 10 Uhr 45 Minuten, 
dann lieh es an Heftigkeit nach. Ich sah mit dem 
Glase, daß die Griechen sich schnell zurückzogen. 
In großer Rähe der Kämpfenden war der ru 
mänische Personendampfer „Imperatul Trajan" 
sichtbar. Ich erfuhr später von seinen Passagieren, 
dah der griechische schwere Panzerkreuzer „Averoff" 
durch die Geschosse der Türken schwer hava 
riert sei und, am Achterdeck mehrfach getroffen, 
sich habe zurückziehen müssen. 
Um die Mittagsstunde kehrten zunächst die 
großen türkischen Schiffe langsam zurück. An 
jedes legte das Lazarettschiff schon auf offener 
See an und nahm die Verletzten an Bord. 
Bis zur Mündung der Dardanellen fuhren die 
Panzer in Dwarslinie nebeneinander, dann 
durch die Minenregion in Kiellinie. Das La 
zarettschiff überholte sie. Mir fiel die überaus 
langsame Fahrt auf. Erst glaubte ich, die Panzer 
schiffe seien havariert, doch dann bemerkte ich 
von Karantina aus den Grund des Manövers: 
in der Stoma Limne, der Mündung des ehr 
würdigen Skamandros, lagen um 1 Uhr regungs 
los drei türkische Torpedoboote, durch das 
vorgelagerte Fort von Kum Kale den Blicken 
der Griechen verborgen. Offenbar sollte der 
Feind durch die langsame Rückfahrt der Panzer 
in diesen Hinterhalt gelockt werden. Ich ritt 
nach dem Hügel Hissarlik, der Trümmerstätte 
des alten Troja. Von dieser geheiligten Stätte 
aus beobachtete ich um 4 Uhr, dah die Rauch 
säulen mehrerer griechischer Schiffe sich dem 
Gestade näherten. Die Schiffskörper selbst wurden 
durch die hohen Grabhügel des Patroklus und 
des Achilleus verdeckt, plötzlich brachen die drei 
türkischen Boote mit Volldampf aus der Stoma 
Limne hervor, sie lancierten ihre Geschosse und 
erhielten die Antwort des Feindes. 
Auch die Kanonen von Kum Kale und 
Orchania sprachen mit — es war ein Getöse, 
das Einzelheiten nicht unterscheiden lieh. Alle 
drei Torpedoboote tauchten schließlich im 
Hellespont auf und fuhren wohlbehalten in 
den Hafen. Einige ihrer Kameraden schienen 
sich an die Verfolgung des Feindes gemacht zu 
haben, da noch bis tief in die Rächt hinein 
zeitweilige Detonationen aus der Ferne hörbar 
wurden. Ich überzeugte mich später in Chanak 
Kalessi, daß kein türkisches Schiff sichtbare 
Verletzungen aufwies. 
Es ist zweifellos, dah die türkische Flotte 
bei ihrem ersten Versuche, den Schutz des 
Küstenforts zu verlassen, immerhin einen Erfolg 
errungen hat: die Griechen, die bis jetzt unge 
straft alle Landungsmanöver wagen durften, 
sind jedenfalls durch die türkische Offensive 
nunmehr gewarnt. Rach Aussage der Passagiere 
des rumänischen Dampfers schoflen die Türken 
vorzüglich. 
Der Moment der Offensive war für die 
Türken jetzt gekommen, da man stündlich eine 
größere Truppenlandung des Feindes bei Cnos 
befürchtete. Diese Befürchtung hat auch die 
Konzentration so bedeutender Streitkräfte bei 
Gallipoli veranlaßt. Trotz des modernen, vor 
züglichen Küstenschutzes an den Dardanellen 
träumen die Griechen von einer Forcierung der 
Durchfahrt. Die vielen griechischen Schiffs 
offiziere, die auf den Bergungsdampfern und 
Schleppern in den Dardanellen beschäftigt 
waren, befinden sich jetzt als vorzügliche Lotsen 
an Bord der hellenischen Schlachtschiffe. Ein 
Zeichen besonderer Ortskenntnis war schon der 
Versuch, in die Bucht bei Sidi-el-Bahr einzu 
fahren und die Forts von der schwachen Rück 
seite zu bombardieren. 
Einem Bericht des „Berliner Lokalanzeiger" 
aus Konstantinopel, 17. Dezember, entnehmen 
wir das Folgende: 
Genau 14 Tage sind es, da ritt ich als 
Freiwilliger in der Tschataldschalinie umher. 
Seither war der Waffenstillstand geschlossen, 
es wurde ruhig und immer ruhiger. Die 
Delegierten wurden ernannt, man begann an 
die Verhandlungen zu denken. Der einzige 
Faktor, der noch eine Änderung der Lage herbei 
führen konnte, war die Flotte,- aber von der 
sah und hörte man nichts. So lief ich also von
	        
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