Volltext: Die Psychoanalyse [538/540]

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Tante unmittelbar vor dem Spaziergang, auf dem sie sich so 
widerwillig großmütig erzeigt, eine Besorgnis über die Gesund⸗ 
heit eines Kindes äußern gehört, so lann man an dem Sinne des 
angeblich unliebsamen Zufalls nicht mehr zweifeln. Auf solche 
Art ermöglichen unsere Fehlleistungen die Ausübung aller 
sener frommen und abergläubischen Gebräuche, die wegen des 
Sträubens unserer ungläubig gewordenen Vernunft das Licht 
des Bewußtseins scheuen müssen. 
Ganz ähnliche Beobachtungen hat W. Stekel von seiner 
eigenen Person mitgeteilt. „Ich trete in ein Haus ein und 
reiche der Dame des Hauses meine Rechte. Merkwürdigerweise 
löse ich dabei die Schleife, die ihr loses Morgenkleid zusammen- 
hält. Ich bin mir keiner unehrbaren Absicht bewußt, und doch 
habe ich diese ungeschickte Bewegung mit der Geschicklichkeit 
eines Eskamoteurs vollbracht.“ 
In Theodor Fontanes Roman „L'Adultera“ heißt es: 
„. . . und Melanie sprang auf und warf ihrem Gatten, wie 
zur Begrüßung, einen der großen Bälle zu. Aber sie hatte nicht 
richtig gezielt, der Ball ging seitwärts, und Rubehn fing ihn 
auf.“ Bei der Heimkehr von dem Ausflug, der diese kleine 
Episode gebracht, findet ein Gespräch zwischen Melanie und 
Rubehn statt, das die erste Andeutung einer keimenden Neigung 
verrät. Diese Neigung wächst zur Leidenschaft, so daß Melanie 
schließlich ihren Gatten verläßt, um dem geliebten Manne ganz 
anzugehören. 
Die Psychoanalyse achtet auch auf die sogenannten Zufalls— 
handlungen und nennt sie Symptomhandlungen, weil 
sie in der Zeichensprache (Symptom Zeichen) verraten, was 
im Inneren des Menschen vorgeht. Beispiele (nach Freud): 
WVon der großen Schauspielerin Eleonora Duse erzählte 
mir ein Freund, der auf Zeichen achten gelernt hat, sie bringe 
in einer ihrer Rollen eine Symptomhandlung an, die so recht 
zeige, aus welcher Tiefe sie ihr Spiel heraushole. Es ist ein 
Ehebruchsdrama; sie hat eben eine Auseinandersetzung mit 
ihrem Mann gehabt und steht nun in Gedanken abseits, ehe 
sich ihr der Versucher nähert. In diesem kurzen Intervall 
pielt sie mit dem Ehering an ihrem Finger, zieht ihn ab, um 
ihn wieder anzustecken, und zieht ihn wieder ab. Sie ist nun 
reif für den anderen.“
	        
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