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verden, weil sie sich so drollig versprechen. Aber Zwerg Mime,
der sich dem lichten Siegfried verrät, indem er ganz anders
spricht, als er sprechen will, ist keine lustige Figur. Als man in
einem Verein die Totenfeier für das verstorbene Mitglied
Müller hielt und Schulze eine ergreifende Rede gehalten hatte,
lagte der Obmann: „Ich danke Herrn Müller (das war der
Verstorbene!), daß er dem dahingeschiedenen Schulze aber das
var der lebend anwesende Festredner) einen so warmen Nach—
ruf gehalten hat.“ Was verrät das? Den geheimen, unbewußten
Gedanken, es sollte lieber der Redner gestorben und der Tote
lebendig sein. So sind wir von feindlichen und deshalb nicht
zewußtseinsfähigen Gedanken in unserem freien Wirken ein—
zgeschränkt. Ein Mann, der heimlich gegen Freud eingestellt
var, ihn aber öffentlich loben wollte, sagte: „Wir können Freud
nicht hoch genug unterschätzen.“ Wer sich in die Welt der
Fehlleistungen eingelebt hat, für den ist die Auffassung Freuds,
daß hier das Unbewußte gegen den Willen des bewußten Ichs
einbreche, vollkommen sicher. Hier vor allem bekommt man eine
Ahnung von den unbezähmbaren Gewalten, die uns von unten
regieren. Sie überwältigen uns am ehesten dann, wenn wir
müde, nachlässiger sind als sonst. Sie sind aber immer da, wie
lauernde Dämone, die ihre Zeit abwarten. Noch einige Bei—
spiele aus Freuds erstem Werke über dieses Thema („Psycho—
athologie des Alltags“) mögen zur Aufklärung dienen.
„eine Patientin, die ich nach Abbruch der Stunde frage,
wie es ihrem Onkel geht, antwortet: Ich weiß nicht, ich sehe
ihn jetzt nur in flagranti.“ Am nächsten Tag beginnt sie: Ich
habe mich recht geschämt, Ihnen eine so dumme Antwort
gegeben zu haben. Sie müssen mich natürlich für eine ganz un⸗
gebildete Person halten, die beständig Fremdwörter verwechselt.
Ich wollte sagen: en passant.“ Wir wußten damals noch nicht,
woher sie die unrichtig angewendeten Fremdwörter genommen
hatte. In derselben Sitzung aber brachte sie als Fortsetzung
des vortägigen Themas eine Reminiszensz, in welcher das Er⸗
lapptwerden in flagranti die Hauptrolle spielte. Der
Sprechfehler am Tag vorher hatte also die damals noch nicht
bewußt gewordene Erinnerung antizipiert.“
„Gegen eine andere Patientin mußte ich an einer gewissen
Stelle der Analyse die Vermutung aussprechen, daß sie sich zu
der Zeit, von welcher wir eben handelten, ihrer Familie geschämt
and ihrem Vater einen uns noch unbekannten Vorwurf gemacht
g*