Volltext: Die Psychoanalyse [538/540]

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das vorläufig weder bestätigen noch leugnen. Eine an Sicher— 
heit grenzende Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß unser veben 
in großen Kreisen und Perioden verläuft, die uns unbewußt 
sind. So hat man versucht, Perioden von sieben Jahren, von 
28 und 23 Tagen und Jahren als wichtig für den Ablauf des 
Lebens zu errechnen. Solches Unbewußtsein ist außerpsychisch, 
und der Zusammenhang zwischen diesem Unbewußtsein und 
dem Seelischen ist bis heute nicht genügend erforscht. Wir 
haben zu dem außerpsychischen Teil des Unbewußten keinen 
wissenschaftlichen Zugang. Den Mystikern bleibt hier jede 
Möglichkeit offen. Der naturwissenschaftliche Forscher gedenkt 
nicht, den Mystiker zu stören, wehrt sich allerdings auch gegen 
Eingriffe von seiten der Dichtkunst, der Mystik, der Religio— 
sität, des Ahnungsvermögens in seine eigenen trockenen Kreise, 
die sich von der Mystik dadurch unterscheiden, daß jede natur— 
wissenschaftliche Behauptung beweisbar sein muß. Die Psycho— 
analyse beschäftigt sich nur mit dem Teil des Unbewußten, 
den sie durch ihre eigentümliche Kunst bewußt machen kann. 
Der größte Teil jenes Unbewußten, der durch psychoanalytische 
Tätigkeit bewußt gemacht werden kann, ist früher einmal 
bewußt gewesen und durch den Akt der Verdrängung, von 
dem hier schon wiederholt die Rede war, in das Unbewußte 
verschoben worden. 
Unser Kapitel über das Kind hat gezeigt, daß kindliches 
Triebleben mit seinem Mangel an Hemmungen, seiner Scham⸗ 
losigkeit und seinem ungezügelten Egoismus zunächst im Be— 
wußtsein des Kindes geduldet wird. Um diese frühe Zeit des 
kindlichen Lebens existiert für das Kind keine Notwendigkeit, 
irgendwelche Vorstellungen aus dem Bewußsein hinaus— 
zuwerfen. Was das Kind nicht tun darf, muß durch die Für— 
sorge der Erwachsenen hintangehalten werden. Das Kind 
würde in den Absonderungen seines Leibes verkommen, 
würde sich zu Tode stürzen, unverdauliche und gefährliche 
Gegenstände schlucken, wenn es nicht von der treuen Wartung 
seiner Autoritäten behütet würde. Diese Autoritäten schützen 
das Kind vor den üblen Folgen, die ein schrankenloses 
Ausleben aller Triebe nach sich ziehen müßte. Indem man 
das Kind durch Erziehung davan gewöhnt, auf seine Urtriebe 
zu verzichten und den Notwendigkeiten der Wirklichkeit Rech— 
nung zu tragen, erzeugt man bei ihm das, was Freud Ur— 
verdrängung genannt hat. Das Kind verzichtet auf ein Stück 
Zügellosigkeit. Von den frühen Trieben des Kindes, die sich
	        
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