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»erurteilt. Brunhilde Lindner wurde freiges prochen. Ihr
eigener Vater mit roten Narben an der Stirn und im Gesichte
hat vor den Geschwornen „für sein Kind und um sein Kind“,
und die Rührung war allgemein, da ja Brunmhilde, wie selbst
der Staatsanwalt zugab, in dieser abscheulichen Gesellschaft
aur die Verführte war. Sie sah aus wie ein schuldloses und
zeiteres Schulkind. Hätte sie nicht elbst mit ihrer klaren
Stimme die ents etzliche Tat vor Gericht geschildert, niemand
hätte es für möglich gehalten, daß devartige Gedanken hinter
ieser veinen Stirn keimen und zu einem solchen Ausbruch
führen konnten. Ihr engelgleiches Antlitz, ihre helle Kinder—
timme waren ihr Glück.
Alle diese Geschehnisse sind der Ps ychoanalyse verständlich.
Die Oedipus-Situation erklärt, daß eine Tochter den Vater
liebt und auf die Mutter eifersüchtig ist. Was die Oedipus⸗
Situation verlangt, wenn man sie zu Ende denkt, ist, daß die
Tochter an die Stelle der Mutter trete, um mit dem Vater das
Leben zu teilen. Dieser Gedanke wird in das Unbewußte ver⸗
drängt und experimentiert dort, unangefochten von Moral und
Verstand nach allen Seiten. Eines dieser Experimente ist, ein
Alimes Leben zu dritt zu führen; Mutter, Tochter und Vater.
Musterbeispiel eines unbewußten, des Bewußtseins unfähigen
Bedankens. Die kleine Brunhilde hatte nun das Unglück, zu
erleben, daß dieser Gedanke des Dreiecks in einer etwas ver⸗
inderten Form in Erfüllung ging. Der saubere Schuirer
setzte sich an die Stelle des Vaters, besaß die Mutter und nahm
mich die Tochter. So wurde das heranwachsende Mädchen
gezwungen, den ursprünglichen Wunsch, der auf dem Vater
— E übertragen,
der ihr bewies, daß es möglich —
Mutter gemeinsam zu haben. Während der gewöhnliche Weg
des Oedipus-Komplexes der ist, daß die Tochter den Vater liebt
und ihn gleichzeitig haßt, weil er statt die Liebe gleichwertig
zu erwidern, der Mutter alles gibt und der Tochter nichts,
wurde im vorliegenden Falle die Ambivalenz der Gefühle auf
zwei verschiedene Personen verteilt. Dem Erwecker der Liebe,
dem Schuirer gehörte alle Zuneigung. Ihm war sie hypnotisch
berfallen, und für den Vater blieb nur mehr die Kehrseite, das
ist ein teuflischer Haß, der durch keine Regung der Liebe
gemildert wurde, weil ja alle Liebe vom eingebrochenen Unhold