Volltext: Die Psychoanalyse [538/540]

22 
noch in der Verwandtschaft vorhanden war, lebhaft beteiligten, 
kam die Frau wieder zurück, wurde aber von da angefangen 
noch unbrauchbarer, drohte mit Selbstniord und ließ ihrem 
Manne keinen Zweifel übrig, daß er sie entweder nicht hätte 
heiraten sollen oder jedenfalls die Frau nicht richtig be⸗— 
handeln konnte. 
Einmal sperrte sie sich in ihr Zimmer ein. Wurm schildert 
den Auftritt folgendermaßen: „Eine Tür oder ein Schloß, so 
etwas gibt's doch nicht für mich. Ein Renner, und die Tür war 
eingedrückt, ich ssehe mitten im Zimmer und frage: A 
hast?“ An dieser Stelle unterbricht Wurm die Schilderung. 
Weiter sei nichts vorgefallen. Man braucht aber nicht viel 
Einbildungskraft, um zu erkennen, daß die Frau in jenem 
Moment dem wütenden Koloß gegenüber in Gefahr schwebte. 
Wieviel fehlde denn, daß er einen Sessel oder einen anderen 
Gegenstand nach ihr geschleudert oder sich selbst an ihr vergriffen 
hätte? Das geschah jedoch nicht, und die beiden lebten weiter 
miteinander. — 
Wurm schaffte sich ein Motorrad an und verbrachte eine 
Zeitlang seine freien Stunden weniger zu Hause als im freien 
Gelände. Er war von seinem neuen Besitz so erfüllt, daß er 
schon im Bureau wie ein Tagträumer überlegte, wohin er denn 
am nächsten Sonntag sahren solle. Seine Maschine behandelte 
er nach seinem eigenen Ausspruch wie eine Geliebte, streichelte 
sie, sprach zu ihr, beruhigte sie, wenn sie heißgelaufen war, durch 
zärtliche Worte. Wenn sie bei einer Bergfahrt keuchte, dann 
sagte er: „Nur Mut, wir sind gleich oben, dann kannst du dich 
ausruhen. Sei mir treu, blamier' mich nicht !“ Wenn er einen 
Motorfahrer, dessen Maschine steckengeblieben war, überholte, 
dann lobte er seine Gefährtin, indem er sagte: „Siehst du, das 
kann uns nicht passieren. Du weißt schon, was sich gehört!“ 
Mit einem Worte, er flüchtete sich von der unberechenbaren, 
nervösen, unbotmäßigen lebendigen Frau zu einer Maschine, 
die ihn besser verstand, obgleich sie kein Herz hatte — weil sie 
keines hatte. 
Ungefähr um diese Zeit brach die Schlaflosigkeit aus, die 
ihn von Arzt zu Arzt, von Kur zu Kur, von einer Apotheke in 
die andere und schließlich zum Psychoanalytiber brachte. Als 
die Schlaflosigkeit anhielt und kein Mittel helfen wollte, ent⸗ 
schloß er sich eines Tages, die stählerne Freundin zu verkaufen. 
Auf der Suche nach Ursachen, die seine Schlaflosigkeit erklären 
sollten, war er auf den Gedanken geraten, daß ihn vielleicht
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.