Volltext: Die Psychoanalyse [538/540]

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und was den verschiedenen Hütern der Moral, als da sind 
Erzieher, Lehrer, Geistliche, Gesetzgeber, Moralprediger, s ehr 
gut in den Kram paßt. Es ist schwer, die strenge und teilweise 
nwahrscheinlich klingende Wahrheit Freuds in ihrer Gänze 
zu vertreten. Viel leichter ist es, mit einer Teilwahrheit den 
Beifall der Menge zu er obern. Da man ohnehin der Meinung 
ist, die nervösen Krankheiten seien nur eingebildet, so ist man 
froh, wenn man für solche Einbildung eine Aufklaͤrung be⸗ 
kommt, die jenes schreckliche, verstehende Aha! hervorbringt, 
hinter dem das Gelächter des Pöbels steckt. „Meine Schüler,“ 
sagt Freud, „reißen gern ein Stück meiner Lehre aus dem Zu— 
sammenhang und rennen damit in eine Ecke wie der Hund mit 
einem Knochen.“ Wenn cin alter Hagestolz mit nervösen 
Beschwerden aller Art zu Adler kommt, dann sagt er. „Sie 
wollen nicht heiraten, weil Sie zu geizig sind, um eine Frau zu 
erhalten. Damit man aber die wahre Ursache nicht bemerkt, 
deben Sie sich und der Welt ein, daß Sie krank sind.“ Wenn ein 
Handwerker, den ein ganzes Heer von Zwangshandlungen ast 
am den Bettelstab gebracht hat, zu Adler kommt, dann kann er 
sagen: „Sie sind faul, Sie wollen Ihr Handwerk nicht ehrlich 
ausüben, und deshalb schüten Sie diese Zwangshandlungen vor.“ 
In solchen Demaskierungen hat Alfred Adler, der einer der 
geistreichsten Schüler Freuds war, bis er in die Eins eitigkeit des 
Sektierers verfiel, einen fast unüberbietbaren Grad von 
Virtuosität erreicht, und jedesmal hat er zwar nicht den Beifall 
des Kranken, aber den Beifall der Umgebung des Kranken für 
sich, der es auf einmal wie Schuppen von den Augen fällt, wenn 
der Leidende nackt Ind bloß, des Mitleides seiner Umgebung 
nicht mehr würdig, dasteht. Für Adler ist der Krankheits⸗ 
gewinn, das ist also der eventuelle Zweck einer Krankheit, 
zugleich ihre Ursache. Freud sagt, daß diese Behauptungen 
Adlers geradeso falsch oder geradeso richtig seien, wie man von 
einem Krüppel, dem im Kriege das Bein abgeschossen worden 
ist, sagen würde, er hätte sich dieses Bein abschießen lassen, um 
hernach eine Invalidenrente zu veziehen. Adler, der ein ge⸗ 
borener Arzt ist, erzielt mancherlei Erfolge · Wir haben an den 
Suggestionserfolgen bei nervöhen Krankheiten, von denen 
ohen schon die Rede war, gesehen, daß man den Kranken nicht 
gevade immer die Wahrheit sagen muß, um ihnen Erleichte⸗ 
— ä verschaffen. Wir werden später sehen, 
wieviel von dem, was Wurm von einem Adler-Schüler erfuhr, 
den wirklichen Urlachen der Krankheit nahekoummt. 
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