Volltext: Die Psychoanalyse [538/540]

II. 
Eine Angsihusterie. 
Zum Arzt kommt ein vierzigiähriger Mann, ein Hüne 
von Gestalt und derzeit Versicherungsbeamter. In den Zeiten 
der verflossenen Monarchie hatte er altiv als subalterner 
Truppenoffizier gedient. Das Leiden, das ihn zum Arzte 
führt, ist Schlaflosigkeit. Seit mehr als einem Jahre kann er 
nicht schlafen. Er behauptet, daß er die ganze Nacht vom 
Schlafe geflohen wird und des Morgens vom Bett aufstehe, 
ohne ein Auge geschlossen zu haben. Neben ihm liegt seine 
Gattin, welche diese Angaben bei einer späteren Unterredung 
mit dem Arzte nicht bestätigt. Sie sagt, ihr Mann schlafe 
ziemlich viel und behaupte dann, daß er gar nicht geschlafen 
habe. Da hätten wir also eine Einbildung. Aber der Kranke 
leidet unter dieser Einbildung so sehr, daß er den ganzen Tag 
an nichts anderes denken kann als an seine Schlaflosigkeit 
und er alle seine Bekannten und sogar Unbekannte, mit denen 
er gelegentlich ins Gespräch kommt, auf eine ganz unmännliche 
Art anjammert. Er sagt, daß er gegen sein Leiden schon alle 
Mittel versucht habe, die der Medizin zur Verfügung stehen. 
Er habe Kaltwasserkuren mitgemacht und Kranken— 
urlaube in Heilanstalten verbracht, elektrische Prozeduren, ja 
sogar Schlafmittel waren auf die Dauer ohne Erfolg. Wenn 
er sich fast bis zur Sinnlosigkeit berauscht, dann schläft er, 
aber dann fühlt er heftige Gewissensbisse, weil er den Alkohol 
nicht zu vertragen glaubt. Er turnt nach allen möglichen 
Systemen, unternĩmmt stundenlange Märsche. um sich zu er⸗ 
müden: alles ohne Erfolg. Dabei sagt er, daß er bis vor einem 
Jahr überhaupt nicht gewußt habe, was Nervosität sei. Wenn 
er immer wieder hören mußte, daß so viele Menschen nervös 
seien, dann habe er sich und andere gefragt: „Wie ist das 
eigentlich: nervös⸗ Ich verstehe das nicht.“ 
Patient — wir geben ihm den Namen Wur m— ist Mit⸗ 
glied eines Athletenklubs und kann mit beiden Armen über 
hundert Kilogramm aufreißen. An einem Abend im Athleten⸗ 
klub, an dem auch Damen anwesend waren, ergriff er einmal die 
Scheibenstange, die auf dem Fußboden lag, und riß sie hoch.
	        
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