Volltext: Die Psychoanalyse [538/540]

90 
— 
aber warm zu bleiben, fällt uns schwer.“ So birgt, was 
man den Kampf der Geschlechter nennt, alle Lust und alle 
Qualen der Hölle. Vollkommene Männer und Frauen können 
wir nur durch die Liebe werden. Die Einrichtung der Ehe 
sollte verbürgen, daß wir von der Spannung der Bisexualität 
dauernd befreit seien, indem wir sie dauernd nach außen 
verlegen. 
Der psychologische, vielleicht der wichtigste Sinn der Ehe 
ist: zeitlebens zu sein und zu bleiben, was man sein möchte und 
was man sonst nur in Augenblicken der Verzückung ist und in den 
kurzen Fristen, die auf Verzückung zielen — ein ganzer Mann, 
ein ganzes Weib. In diesem Sinn muß man das Sakrament 
verstehen, das von der Ehe aussagt, sie dürfe nur durch den 
Tod gelöst werden. Viel wird über geistliche Zeremonien genas⸗ 
rümpft, die doch nichts verändern und weder die Gesetze der 
Fortpflanzung noch die der Liebe beeinflussen können. Die 
Aechtung der ledigen Mutter, die Schwierigbeiten des unehelichen 
Kindes sind in der Tat soziale Schandflecke. Kann aber ander— 
seits dem Menschenkenner der Unterschied des Gesichtsausdrucks 
und der ganzen Haltung entgehen, der zwischen verheirateten 
Frauen und unverheirateten besteht, auch wenn diese grandes 
moureuses sind, Kinder geboren haben und etwa bedeutend 
älter sind als junge Frauen? Selbst die deklarierte Hetäre 
bleibt immer ein Fräulein, weil sie niemanden weiß, bei dem 
fie ihr „Anderes“ dauernd unterbringen könnte. Die Frau, 
im Schatten des Ewigkeitsgedankens, verändert ihren Aus— 
druck, weil sie ein Stück ihres Ichs für dauernd dem Manne 
übergeben hat. Sie verzichtet — wenigstens im Prinzip — für 
immer darauf, es zurückzunehmen. So erhält ihr Wesen ein 
—E 0 
sie ausschaut. Der gleiche Unterschied bestünde zwischen voll⸗ 
männlich und junggesellig, wenn die Verhältnisse bei Männern 
nicht erwas verwischter wären. 
Die Krise, in der sich die Geschlechter heute befinden, ist 
der uvalten Lösung der bisexuellen Frage durch die Ehe wenig 
günstig. Jedes Geschlecht braucht sein „Anderes“ für sich selber. 
Sie wollen gar nicht fraulich oder vollmännlich aussehen und 
haben Wege gefunden, um die ewige Spannung der Bisexualität 
durch Verzwitterung an sich selber auszugleichen, die zu neuen 
Beziehungen der Geschlechter führen wird. Die Ehe muß man 
dort studieren, wo ihre finstere Folgerichtigkeit zuhöchst be⸗ 
stand, Ehebruch mit dem Tod, mindestons mit dem gesells chaft⸗
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.