Volltext: Die Psychoanalyse [538/540]

105 
Der Mann, der Vater und Mutter verläßt, um sich mit 
fremden Weibern zu vermischen, nimmt aus dem Elternhaus 
die stärkste aller Erinnerungen mit, die an die frühe Kindheit 
und an die besondere Form der elterlichen Zärtlichkeit. Vom 
Brausen der Brunst übertönt, kehrt sie gezeitenartig wieder und 
drängt nach Neuerleben. Im Elternhause fehlten die Schauer 
der Entladung. Sie wurden nicht entbehrt, weil sie dem Kinde 
aAnbekannt waren. In den Armen der Geliebten wiederum 
ehlt die Sicherheit des Besitzes, die Bürgschaft der Treue. Die 
Frage, ob man an ihrer Brust selig-sorglos einschlafen dürfe, 
hleibt unbeantwortet. So kindisch ist man, daß man diese Ant⸗ 
vort wunscht. Die Geliebte soll wie die Mutter sein. Das Bild 
der Mutter wäre aber nicht vollständig, wenn der Zwang 
fehlte, den Mutter (und Eltern überhaupt) auf ihr Kind aus— 
üben, der Zwang des Stärkeren gegen das Schwächere, den 
man Erziehung nennt und gegen den es keine Auflehnung gaibt. 
Er ist das Dritte in der Erinnerung an das Elternhaus, die 
us den Gefühlen der Ewigkeit, der Treue und des Zwanges 
zusammengefetzt ist. Da haben wir das Mysterium — die Kirche 
agt: das Sakrament der Ehe. Ein Zwang, den' nur der Tod 
beendet. So gewiß die Eltern für das Kind ewig sind, denn sie 
waren immer da; so gewiß Elternliebe und ⸗pflege verläßlich 
sind, denn das kleine Kind fühlt wohl, daß es ohne sie verloren 
väre, und so gewiß Zwang, der so stark ist, daß er gar nicht 
empfunden wird, zur Aufzucht gehört — ebenso gewiß hat die 
Geschlechtsliebe an sich mit diesen dreien nichts zu tun. Von 
daher stammen letzten Endes alle Schwierigkeiten des ehelichen 
Zusammenlebens. Wenn Kinder erzeugt werden, dann erhalten 
die sakramentalen Qualitäten der Ehe Verstärkung aus dem 
exneuten, wenn auch umgekehrten Kind⸗Eltern⸗Verhältnis. 
Dann nennen sich auch die Gheleute untereinander Vater und 
Mutter und glauben, daß sie es nach dem Beispiel ihvrer Kinder 
tun. Sie tun es aber aus Erinnerung. Wenn sie es aus Er⸗ 
innerung tun, dann könnte man auch sagen: sie tun es aus 
Irrtum. Irrtümlich werden in die geschlechtlichen Beziehungen 
von Mann und Weib ehemalige, nicht mehr vorhandene Kind⸗ 
Eltern⸗Beziehungen hineingetragen. Diesen Irrtum ermöglichte 
die menschliche Gesellschaft, als ihre s ozialen Bedingungen die 
Ehe und die Familie schufen. Diesem Irrtum verdankt die Ehe 
ihr Fortbestehen für den Fall, als die sozialen Bedingungen — 
etwa die des industriellen Proletariats — sonst nicht unbeding 
zugunsten der Einehe alten Stils sprechen.
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.