Volltext: Im Weltkrieg und in der Nachkriegszeit (II. Band / 1929)

Zusammenbruch, Umsturz. 
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Kläglichkeit jenes Lebens auszuhalten, in das der endlose Krieg 
diese Generation verstrickt hatte. 
Zahlenmäßig betrachtet, waren die Gewerkschaften in der 
zweiten Kriegshälfte erheblich stärker geworden. Ihre Mitglieder¬ 
zahl von 415.195 im Jahre 1913 war im ersten Kriegsjahr auf 240.681 
gesunken. Der Rückgang setzte sich auch in den Jahren 1915 und 
1916 fort, so zwar, daß am Ende des letztgenannten Jahres nur 
mehr 166.937 Mitglieder vorhanden wären. Aber im Jahre 1917 
begann ein neuer Aufschwung. Er ging so rasch vor sich, daß am 
Ende dieses Jahres bereits die doppelte Mitgliederzahl des Vor¬ 
jahres, nämlich 311.068, erreicht war. Diese sprunghafte Aufwärts¬ 
entwicklung hielt auch im Jahre 1918 an. Die freien Gewerkschaften 
wurden wieder, was sie in den letzten Jahren vor dem Kriege 
waren, die unbestritten führende wirtschaftliche Kampforganisation 
der Arbeiterklasse. 
Natürlich wirkte, wie das erfahrungsgemäß zu allen Zeiten der 
Fall war, der Mitgliederzustrom von sich aus auf eine Erhöhung 
der Kampfestätigkeit. Die Neueintretenden sind immer die Radi¬ 
kalen, zu einer Aktion Drängenden. Zum Teil kommen sie ja erst 
im Laufe einer eben beginnenden Lohnbewegung, von der sie sich 
sofortige unmittelbare Vorteile versprechen. 
In den beiden letzten Kriegsjahren gingen die schier ununter¬ 
brochenen Lohnkämpfe Hand in Hand mit dem raschen Mitglieder¬ 
gewinn der Gewerkschaften. Besonders beachtlich ist, daß, den 
geänderten Verhältnissen in den Betrieben entsprechend, nun auch 
die Frauen in größerer Zahl den Gewerkschaften zuströmten. 
Während im letzten Friedensjahr 1913 den Gewerkschaften nur 
42.979 weibliche Mitglieder angehörten, waren es Ende 1917 bereits 
79.002. Von je 100 Gewerkschaftsmitgliedern waren im Jahre 1913 
nur 10*36, im Jahre 1917 dagegen ein volles Viertel, näm¬ 
lich 25*39 Prozent Frauen! In den so leidenschaftlichen 
Wirtschaftskämpfen dieser Zeit bewährten sie sich nicht minder, 
denn als Arbeiterinnen im Betrieb. 
Man darf nicht glauben, daß die Unternehmer, durch die Not 
des Gemeinwesens erschüttert, sich vielleicht bereitwilliger den 
Forderungen der Arbeiter erschlossen hätten als in normalen Zeiten. 
Nein, es wurde auch jetzt um jeden Heller gefeilscht und gestritten. 
Die Unternehmer, die an den Kriegslieferungen scheffelweise ver¬ 
dienten, zeigten sich den Arbeitern gegenüber zugeknöpft und klein¬ 
lich. Von einer Abschwächung des Klassengegensatzes, von der 
mancher Schwärmer am Beginn des Krieges geträumt hatte, war 
Deutsch, Geschichte der österreichischen Gewerkschaftsbewegung Ii. 
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