Volltext: Im Weltkrieg und in der Nachkriegszeit (II. Band / 1929)

Die ersten Jahre der Republik. 
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tal, sondern zugleich gegen die Arbeiterklasse wendeten, wie in 
Verkehrs- oder lebenswichtigen Betrieben. Mitunter hetzten auch 
reaktionäre Provokateure Gruppen von Arbeitern und Angestellten 
zu unüberlegten Kampfhandlungen, um Niederlagen oder heftigen 
Zwist im Proletariat selbst hervorzurufen. 
„Die Gewerkschaft“, das Organ der Gewerkschaftskommission 
Deutschösterreichs, warnte im Mai 1920 (Nr. 18 vom 15. Mai): 
„Es ist heute nicht mehr so wie ehedem, da die klassenbewußte 
Arbeiterschaft an dem Wohlergehen des Staates nicht interessiert war. 
Der Staat ist heute zum guten Teil ein sehr gewichtiger und wirkungs¬ 
voller Träger der proletarischen Bestrebungen geworden und darum 
hängt deren Fortschritt sehr wesentlich auch von dem Gedeihen des 
Staatsganzen ab. Diese Erwägungen müssen heute von den Arbeitenden 
bei jeder Lohnbewegung sehr ernstlich beachtet werden; und dies um 
so mehr, da die Erregtheiten der gegenwärtigen Zeit und die Kleinheit 
unseres Staates jede Lohnbewegung, sei sie auch die scheinbar wenigst 
umfangreiche, weit mehr zu einer Sache der Allgemeinheit machen, als 
es ehedem der Fall war.“ 
Es war bereits wieder eine Zeit starker Spannungen zwischen 
den Klassen, aber auch innerhalb des Proletariats. Die zweite Koali¬ 
tionsregierung war nicht mehr eine Koalition der revolutionären 
Arbeiter und der republikanischen Bauern. Das Gleichgewicht der 
Klassen war hergestellt. Die Bourgeoisie leistete der von der Ar¬ 
beiterschaft geforderten Vermögensabgabe den größten Widerstand, 
nicht minder dem Gesetz über die Getreidebewirtschaftung. Nur 
beim neuen Wehrgesetz, das der Friedensvertrag vorschrieb, konn¬ 
ten noch Erfolge erzielt werden. Die Niederwerfung des Kapp- 
Putsches in Deutschland durch den Generalstreik der Arbeiter im 
März 1920 schüchterte noch einmal das Bürgertum Österreichs ein. 
Im Gesetz konnten die staatsbürgerlichen Rechte der Soldaten 
verankert werden, vor allem das Wahl-, Vereins- und Versamm¬ 
lungsrecht, was zur Gründung einer freien Soldatengewerkschaft, 
des Militärverbandes, im neuen Bundesheer führte. (Siehe Seite 91.) 
Sofort nach der Gesetzwerdung bereute das Bürgertum den 
Schritt und verstärkte seinen Widerstand in der Koalitionsregie¬ 
rung. Das vervielfachte die Unzufriedenheit mit der Koalition in der 
Arbeiterschaft. Die „Neue Linke“ im Wiener Arbeiterrat verschärfte 
ihren Kampf gegen die Koalition und gewann größeren Anhang. Bei 
der dritten Tagung des Reichsarbeiterrates anfangs Juni 1920 ge¬ 
wann sie die Mehrheit. In den sozialistischen Parteien Frankreichs, 
der Tschechoslowakei 'und in der unabhängigen Sozialdemokratie 
Deutschlands erfolgten eben Spaltungen. 
Deutsch, Geschichte der österreichischen Gewerkschaftsbewegung II. 
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