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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/16.
wurde sogar als Kehrreim zu einem der — ach, so zahl
reichen! — Kriegslieder verwandt und fand auch einen
Komponisten, der eine zündende Musik dazu schuf.
Der Soldatenhumor machte sich ferner sofort daran, für
die großen Hilfsmittel des Krieges Spitznamen zu erfinden,
die bald in aller Munde waren. Die fahrbaren Feldküchen,
die so vortreffliche Dienste leisteten, wurden „Gulasch
kanonen" genannt, unsere gewaltigen 42-em-Mörser, denen
auch die stärksten Festungen nicht widerstehen konnten,
nannte man „unsere Brummer", oder in der Einzahl „die
fleißige Berta" nach der Tochter Krupps.
Auf der ganzen langen Front von der Nordsee bis zur
Bukowina hat man den zahlreichen Schlupfwinkeln und
Unterständen, in denen unsere Feldgrauen Schutz vor dem
Eranatenfeuer suchen, humoristische Namen gegeben, die
selbst die Anerkennung der Vorgesetzten fanden und auch
in den amtlichen Befehlen und Dienstanweisungen genannt
wurden. Und wenn der Befehl vielleicht auch etwas wunder
lich klingen mochte, daß die Mannschaften der Unterstände
„Zur lahmen Laus" oder „Zum dicken Gottlieb" an dem
und dem Tage dies und
das tun sollten, so wurde
er deshalb doch nicht
minder gewissenhaft be
folgt. Manche dieser
Namen kennzeichneten in
gelungener Weise die Be
deutung der einzelnen
Wohnstätten. So wurde
in Polen die Behausung
eines Kompanievorstan
des „Deutsche Koloni
sation im Osten" genannt,
der Unterstand eines
Zahlmeisters trug die In
schrift: „Zur Börse". Die
Hütte der Ordonnanzen
hingegen erhielt die Be
zeichnung „Botschafter
palais".
Fast jede Kompanie
hat ihren Witzbold, der
bei den Kameraden in
hohem Ansehen steht und
auch von den Vorgesetzten
geschätzt wird, weil sie
wissen, welchen Wert ein
solcher Mann für die
Stimmung der Truppe
hat. Selbst Hunger und
Durst werden leichter er
tragen, wenn der Vor
gesetzte mit einem tref
fenden Wort über solche
Ubelstände zu scherzen
versteht.
Das Essen und Trin
ken spielt natürlich im Felde eine große Rolle, und die
Liebesgaben, die in Millionen von Sendungen aus der
Heimat kommen, tragen nicht wenig dazu bei, den Humor,
der bei einer rechten Truppe auch unter den schwierigsten
Verhältnissen niemals ganz ausgeht, wieder aufzufrischen.
Die zahllosen Dankbriefe, die täglich aus dem Felde eintreffen,
sind denn auch fast alle auf einen humoristischen Ton ge
stimmt, selbst wenn in ihnen eine leise Klage widerhallt,
wie in den von der ganzen Presse wiedergegebenen Versen:
Liebeshandschul/ trag* ich an den Händen,
Liebesbinden wärmen meine Lenden,
Liebesschals schlingt nachts ich um den Kragen,
Liebeskognak wärmt den kühlen Magen,
Liebestabak füllt die Liebespfeife,
Morgens wascht ich mich mit Liebesseife,
Liebesschokolade ist erlabend,
Liebeskerzen leuchten mir am Abend,
Mit dem Liebesbleistift schreib ich tiefe
Liebesgabendankesagebriefe,
Liebeskopfschlauch wärmt mir nachts den Schädel;
Doch ich seufze: „So viel Liebe — und kein Mädel."
Von köstlichem Humor erfüllt war auch eine Kritik der
oft sehr einseitig zusammengesetzten Liebesgabensendungen,
die sich ein Sergeant vom 2. Marineinfanterieregiment in
einem langen Gedicht leistete. Es hieß darin unter anderem:
Mit Schokolade und Zigarren,
Da müssen wir vorm Feinde harren,
So rauchen wir den ganzen Tag
Und stopfen Schokolade nach.
Ahnt ihr denn nichts von all den Sachen,
Die uns viel größere Freude machen?
Zwar kriegen reichlich wir 311 essen,
Doch niemals gibi/s Delikatessen,
Als: gute Aale in Gelee,
Sardinen, Lachse, Has und Reh.
Anchovis, Bücklinge und Sprotten,
’s gibt Schinken, roh und auch gesotten;
In Büchsen, gleich mit Spiritus,
Gibüs Auswahl doch im Überfluß,
’s gibt Gulasch, Beefsteak, Kotelett,
Ragout vom Hammel, gar nicht fett.
In einer Reihe weiterer Verse wurden dann noch mehrere
Leckerbissen angeführt, und das Gedicht schloß mit dem aus
tiefstem Herzen kommenden Notschrei:
„Abwechslung muß der Krie
ger haben,
Besonders bei den Liebes
gaben!"
Nun, es zeigte sich
bald, daß man in der
Heimat volles Verständ
nis für diese Notlage un
serer Krieger hatte. Der
poetische Sergeant wurde
für die Mühe seiner Dich
terei reichlich belohnt,
denn er erhielt nicht we
niger als 1046 Pakete mit
Delikatessen zugeschickt.
Einen ganz originellen
Humor zeigte ferner ein
Soldat, der zwölf Fran
zosen gefangen genom
men hatte und dies seiner
Frau auf einer Feldpost
karte mitteilte, die er von
allen zwölf Gefangenen
unterschreiben ließ.
Auch den Schilderun
gen ihrer Erlebnisse in
dem grausigen Ringen
geben unsere Soldaten
gern einen humoristischen
Anstrich. So wußte ein
wackerer Bayer ein blu
tiges Nahgefecht nicht
besser zu beschreiben als
mit den vielsagenden
Worten: „Na, und dann
würd' gerauft, und kein
Staatsanwalt war da
bei!" Und ein tapferer schlesischer Soldat, der den gewal
tigen Durchbruch bei Lodz mitgemacht hatte, eine Waffentat,
die der Große Eeneralstab bekanntlich eine der schönsten
des ganzen Feldzugs nannte, feierte diesen Sieg in folgen
den viel zitierten Reimen:
Schon umzingelt — ganz umzingelt
Waren wir das eine Mal.
In der Falle — schienen alle,
Und die Lage war fatal.
Doch wir schossen — unverdrossen,
Packten gleich den Russen an,
Ohne Bangen — und gefangen
Nahmen wir 12 000 Mann.
„Nun, wie steht es und wie geht es?"
Fragte nachher Hindenburg.
Doch wir klagten nicht und sagten:
„Run, man schlägt sich halt so durch."
Der Humor verläßt unsere Krieger selbst nicht im Ver
kehr mit den Allerhöchsten Herrschaften. Das „in Ehrfurcht
ersterben" war niemals deutsche Art und findet im Felde
vollends keine Stätte. Der Kaiser sagt zu seinen Soldäten
„Kameraden", und wenn einer von ihm angeredet wird,
dann redet dieser, wie ihm der Schnabel gewachsen ist.
Einst besuchte der Kaiser ein Lazarett und ließ sich von den