Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Zweiter Band. (Zweiter Band)

Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/16. 49^ 
Seit Ende April haben die Engländer das östliche Ufer 
des Kanals fast zu einer zusammenhängenden Schanze 
umgewandelt. In Abständen von 3 bis 5 Kilometern haben 
die Inder unter der Leitung englischer Offiziere kleine 
Forts aus Lehm und Steinen erbaut, die mit Gängen und 
Seitengängen umgeben sind. Die Laufgräben in dem 
leichten Küstensand sind mit Stacheldraht und ähnlichen 
Hindernissen versehen und werden durch Sandsäcke ver 
stärkt. Die Anlage der Forts entstand aus der Unmöglichkeit, 
die lange Linie von Port Said bis Suez (siehe die Karten 
Band II, S. 306 und Band I, S. 399) durch Truppen 
ausreichend zu besetzen. Längs des Kanals sind in weiten 
Abständen Wacht 
posten aufgestellt; 
von den Forts aus 
werden berittene 
Patrouillen nach 
dem Osten in der 
Richtung der tür 
kischen Front aus 
gesandt. Wenn 
Alarm geschlagen 
wird, sollen aus 
den die Laufgräben 
verbindenden Forts 
die besonders ge 
fährdeten Punkte 
mit stärkeren Streit 
kräften gespeist 
werden. Die So 
malineger , briti 
schen Inder und 
Australier, die diese 
Verschanzungen zu 
verteidigen haben, 
fühlen sich darin 
keineswegs sicher. 
Es wurden Äuße 
rungen kriegserfah 
rener Inder be 
kannt, die der Mei 
nung waren, daß 
selbst die Forts von 
60 entschlossenen 
Leuten stürmend 
genommen werden 
könnten. Nach allen 
Nachrichten, die — 
spärlich genug — 
über den Krieg 
schauplatz am Suez 
kanal eingetroffen 
sind, werden die 
Engländer dort mit 
ebenso tatkräftigen 
türkischen Gegnern 
rechnen müssen wie 
überall im Orient. 
Zunächst haben 
die türkischen Füh 
rer einmal ihren 
Auftrag der ge 
waltsamen Erkun 
dung und Aufklä 
rung der militä 
rischen Lage am Suezkanal ausgeführt. Nach einem rühm 
lichen Wüstenmarsch, bei dem die Türken keinen Mann 
und kein Tier eingebüßt haben, ereigneten sich am Kanal 
die ersten Gefechte. Bei diesem Zusammentreffen mit 
dem Feind hielten die schwachen türkischen Kräfte über 
30 Stunden Fühlung mit dem Feinde. Zwei Maschinen 
gewehre blieben zurück, weil sie durch den Sand unbrauchbar 
geworden waren. Der Angriff wurde abgebrochen wegen 
der andauernden Verstärkung, die die feindliche Flotte 
heranzog. Schwerere türkische Geschütze setzten durch ihr 
glückliches Feuer einen Kreuzer außer Gefecht, in dem 
durch einen Treffer eine Kefselerplosion herbeigeführt 
wurde. Auch gegen ein zweites feindliches Schiff wurden 
Treffer erzielt, das Ergebnis konnte aber wegen der großen 
Entfernung nicht festgestellt werden. 
Ein neues Gefecht fand am 8. April bei EI Kantara statt. 
Auch hierbei waren die Türken die Angreifer. Ein größerer 
Zusammenstoß am 28. April brachte den türkischen Siegern 
als Beute eine Menge Gewehre und Kamelausrüstungen. 
Gleich in der folgenden Nacht befeuerten sie mit Erfolg ein 
Baggerschiff im Kanal. Am 24. Mai ließ ein englischer 
Kreuzer an der Küste von Medina einen Flieger aufsteigen. 
Durch das Feuer türkischer Soldaten und Freiwilliger wurde 
er abgeschossen und stürzte ins Meer. Das alles sind aber 
nur Vorspiele. Die türkische Regierung beabsichtigt nach 
einer an die befreundeten Mächte ergangenen Mitteilung 
einen Angriff aus den Suezkanal, weil die überall Vertrags 
brüchigen Englän 
der entgegen den 
Bestimmungen der 
Konvention von 
1888 nicht nur 
Kriegschiffe in den 
Gebietendes Suez- 
kanals unterhalten, 
sondern ihn sogar 
befestigt haben. 
Mer den Zu 
stand der englischen 
Armee am Kanal 
und in Ägypten ist 
außergewöhnlich 
viel Ungünstiges 
bekannt geworden. 
Schon Mitte April 
berichtete der 
Avanti, daß die 
überschwenglich ge 
feierten australi 
schen Truppen un 
erhört roh und un 
gezogen auftraten. 
Das Benehmen 
dieser Soldaten in 
Gesellschaft und 
Gemeinschaft ihrer 
Offiziere in Bars 
und Tanzplätzen riß 
einenBriefschreiber 
zu der Bemerkung 
hin, es sei der 
größte Hohn sei 
tens der Verbün 
deten, wenn sie 
vorgeben, mit die 
ser Truppe für 
Menschlichkeit und 
Zivilisation kämp 
fen zu ' wollen. 
Zwischen den hoch 
mütigen englischen 
Soldaten und den 
australischen Frei 
willigen kam es in 
den verrufenen 
Vierteln Kairos so 
gar zu einem offe 
nen Kampf, bei 
dem es 26 Tote 
und mindestens 
80 schwerer Verwundete gab. Die kämpfenden Parteien 
wurden durch Feuerspritzen von weiterer Selbstzerfleischung 
abgehalten. Die Zuchtlosigkeit der australischen Truppen 
erreichte schließlich einen so hohen Grad, daß schon im 
April 23 000 Mann abgelöst wurden. Mit dieser ge 
sindelhaften Armee will England ein Gebiet verteidigen, 
dessen Bevölkerung ihm alles andere als freundlich und er 
geben ist. Zwar gelingt es den Engländern im Augenblick 
noch, hie und da aufflackernde kleine Aufstände niederzu 
halten. Aber wenn die türkische Armee erst mit ganzer 
Kraft heranrückt, dann wird die Fahne des Propheten auch 
in Ägypten die Anhänger Mohammeds zu glühender, taten 
froher Begeisterung für die türkische Sache auflodern lassen' 
und zu Erfolgen führen. 
Der Mut der englandseindlichen Mohammedaner hat 
Das „Zillertal", eine deutsche Reservestellung bei Royon. 
Phot. Paul Wagner.
	        
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