Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Zweiter Band. (Zweiter Band)

446 
Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. 
scheu Sprachgebiete in Südtirol in Aussicht stellte, ging die 
italienische Regierung nicht ein, sondern gab ihre eigenen 
Forderungen erst am 11. April der österreichisch-ungarischen 
Regierung wie folgt bekannt: 
Völlige Preisgabe des Trentino auf Grund der im 
Jahre 1811 festgesetzten Grenzen, das heißt mit Einschluß 
des weit außerhalb des italienischen Sprachgebietes liegen 
den urdeutschen Bozen; 
Grenzberichtigung zugunsten Italiens am Jsonzo mit 
Einschluß von Eörz und Eradiska und Monfalcone; 
Umwandlung Triests mit seinem bis an die Jsonzo- 
grenze vorgeschobenen Hinterland nebst Capodistria und 
Pirano in einen unabhängigen Freistaat; 
Abtretung der Curzola-Jnselgruppe mit Lissa, Lesina, 
Curzola, Lagosta, Brazza und Meleda. 
Alle diese Abtretungen sollten sofort vollzogen und die 
aus den abgetretenen Landesteilen stammenden Angehörigen 
der Armee und Marine sofort entlassen werden. 
Ferner beanspruchte Italien volle Souveränität über 
Valona und Saseno mit dem Hinterland und völliges Des 
interessement Österreich-Ungarns in Albanien. 
Hingegen bot Italien eine Pauschalsumme von 200 Mil 
lionen Franken als Ablösung aller Lasten an und übernahm 
die Verpflichtung, während der ganzen Dauer des Krieges 
neutral zu bleiben. 
Auf die Geltendmachung von weiteren Entschädigungs 
forderungen aus dem Artikel 7 des Dreibundvertrages wollte 
es für die Dauer des Krieges verzichten und erwartete von 
Österreich-Ungarn den gleichen Verzicht in bezug auf die 
italienische Besetzung der Inseln des Dodekanesos, wie 
z. B. Rhodos u. a. 
Obwohl diese Forderungen über das Maß dessen weit 
hinausgingen, was Italien selbst zur Befriedigung seines 
nationalen Ehrgeizes verlangen konnte, brach doch die 
k. und k. Regierung die Verhandlungen nicht ab, sondern 
versuchte weiter mit der italienischen Regierung zu einer 
Verständigung zu gelangen. Die deutsche Regierung tat 
alles, was in ihrer Macht stand, um die italienische Re 
gierung zu einer Ermäßigung ihrer Ansprüche zu bewegen, 
deren bedingungslose Annahme die berechtigten Interessen 
und auch die Würde der österreichisch-ungarischen Monarchie 
schwer verletzt hätte. 
Während diese Verhandlungen noch schwebten, gab der 
italienische Botschafter in Wien am 4. Mai der österreichisch 
ungarischen Regierung unerwartet die Erklärung ab, daß 
Italien den Bündnisvertrag mit Österreich-Ungarn als durch 
dessen Vorgehen gegen Serbien im August vorigen Jahres 
gebrochen ansehe. 
Gleichzeitig erklärte 
der Botschafter, daß er 
alle von seiner Regierung 
bis dahin gemachten An 
gebote zurückziehe. 
Diese sogenannteKün- 
digung des noch bis 1920 
laufenden Vertrags ging 
also bis in die kritischen 
Julitage von 1914 zurück 
und stand in Widerspruch 
nicht nur mit den wohl 
wollenden und freund 
schaftlichen Erklärungen 
des Königs von Italien 
vom August des genann 
ten Jahres und seiner 
damaligen Regierung, 
sondern auch mit den in 
zwischen von der gegen 
wärtigen italienischen Re 
gierung auf Artikel 7 des 
Vertrages künstlich aus 
gebauten Entschädigungs 
ansprüchen. 
Es muß dahingestellt 
bleiben, obdiemaßgeben 
den Personen des italie 
nischen Kabinetts bei die 
ser Schwenkung einer in 
zwischen durch geheime 
Abreden verstärkten Hin 
neigung zu den Feinden der mit Italien Verbündeten folgten 
oder ob sie dem Drucke der öffentlichen Meinung nachgaben, 
die sich unter dem fortgesetzten Anfeuern der in fremdem 
Solde stehenden Blätter immer mehr gegen die Zentral 
mächte erhitzt hatte. Dem Deutschen Reiche gegenüber 
beschränkte sich die italienische Regierung darauf, die in 
Wien abgegebene Erklärung in Berlin zur Kenntnis mit 
zuteilen. 
Ein letzter Versuch, den Übertritt des bisherigen Bundes 
genossen in das feindliche Lager zu verhindern, wurde am 
10. Mai mit den noch beträchtlich erweiterten Zusagen der 
österreichisch-ungarischen Regierung gemacht, die der Reichs 
kanzler am 18. Mai im Reichstage verlas. 
Soweit der geschichtliche Hergang. 
Rach dieser sachlichen Darlegung wird kein Erünbuch 
etwas daran ändern können, daß, wenn die italienische 
Regierung zu den Waffen gegen den bisherigen Bundes 
genossen riefe, sie dies, unter Bruch von Treu und Glauben, 
um Machtzuwachs tun würde, der den: italienischen Volke 
mit allen möglichen Garantien freiwillig und ohne Blut 
vergießen dargeboten worden war. — 
Der Gesetzentwurf, der der italienischen Regierung un 
beschränkte Vollmachten gab, so daß sie ohne jede weitere 
Mitarbeit der Kammer Krieg erklären und Kriegsmittel be 
willigen konnte, wurde mit 407 gegen 74 Stimmen an 
genommen. Sodann hatte sich der Senat mit dieser Ee- 
setzesvorlage zu beschäftigen; 262 Senatoren stimmten für 
die Tagesordnung, nur zwei dagegen. Einer dieser beiden 
war der Schwager des Fürsten Bülow, Fürst Camporeale. 
Run hatten Salandra und Sonnino freies Spiel. 
Die österreichisch-ungarische Regierung hatte die Mit 
teilung Italiens, daß es den Dreibundvertrag als auf 
gehoben betrachte, mit einer Rote in rücksichtslos offener, 
geschickter und glänzender Zurückweisung der überaus an 
maßenden italienischen Auslassungen zur Kündigung des 
Dreibundvertrags beantwortet, die am 21. Mai nachmittags 
vom österreichischen Minister des Äußeren, Baron Burian, 
dem italienischen Botschafter, Herzog von Avarna, über 
geben wurde. Sie sagt darin: 
„Mit peinlicher Überraschung nimmt die k. und k. Re 
gierung Kenntnis von der Entschließung der italienischen 
Regierung, auf eine so unvermittelte Weise einem Vertrag 
ein Ende zu bereiten, der, auf der Gemeinsamkeit unserer 
wichtigsten politischen Interessen fußend, unseren Staaten 
seit so langen Jahren Sicherheit und Frieden verbürgt und 
Italien offensichtliche Dienste geleistet hat. 
Dieses Erstaunen ist um so gerechtfertigter, als die von 
der königlichen Regierung zur Begründung ihrer Entschei-
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.