Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Zweiter Band. (Zweiter Band)

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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/16. 
letzten Prüfung der Forderungen und Zugeständnisse ge 
währen. Der einzige unerschrockene, einflußreiche Friedens 
apostel in Italien war Eiolitti, der am 9. Mai in Rom eintraf, 
um mit den verschiedenen Ministern und Parteiführern sowie 
mit dem Könige zu beraten. Einen Augenblick schöpften die 
Friedensfreunde neue Hoffnung, aber sie erwarteten von 
Giolitti zuviel. Er, der nun schon längere Zeit fern von 
Nom geweilt hatte, vermochte die entfesselten Leiden 
schaften nicht mehr zu bändigen. Es hatte den 
Anschein, als ob man die Entscheidung über 
Krieg oder Frieden der Kammer vorbehalten 
wolle, und in diesem Falle glaubte man mit 
Sicherheit eine Entscheidung für den Frie 
den erwarten zu können, denn die Anhänger 
Giolittis, die Sozialdemokraten und ein Teil 
der Geistlichkeit ergaben eine Mehrheit von 
allermindestens vierzig Stimmen für den 
Frieden. Ein erbitterter Kampf zwischen den 
Interventionisten und Neutralisten spielte 
sich ab. Am 11. Mai berief die sozialdemo 
kratische Parteileitung Italiens für die kom 
menden Tage insgesamt zwölftausend Volks 
versammlungen im ganzen Königreich, um 
gegen den Krieg Stellung zu nehmen. Der 
sozialdemokratische „Avanti" meinte, eine 
Regierung, die Italien in den Weltkrieg 
stürze, gehöre sofort ins Irrenhaus. Diese 
anscheinend überhitzte Ausdrucksweise erklärt 
sich aus der klaren Einsicht, welche unerhörte 
Leichtfertigkeit es bedeutete, nach neun ent 
setzlichen Kriegsmonaten einem Millionen 
volk ohne mindeste Not die grauenhafteu 
Blutopfer abzufordern, die der neuzeitige 
Krieg bei Siegern und Besiegten unersättlich 
verschlingt. Der „Avanti" bemerkte selbst 
schmerzbewegt, daß die Regierung bereits 
an die Entente gebunden sei. Die große 
Mehrheit der Senatoren und Deputierten 
sei überzeugt, daß Salandra die Brücken zu 
jeder friedlichen Lösung abgebrochen habe 
und der Krieg unwiderruflich sei. Einerseits 
gewann die neutralistische Bewegung in Ita 
lien unleugbar Boden, denn den ruhigeren 
Kreisen fiel die Binde von den Augen und sie erkannten, 
vor welchem Abgrund das Land stehe, anderseits fuhr aber 
die Kriegspresse in ihrem fanatisch wilden Hasse gegen 
Deutschland und Österreich-Ungarn, und zwar hauptsächlich 
gegen Deutschland, fort. Namentlich der „Corriere della Sera" 
kannte in seiner Gehässigkeit keine Grenzen mehr und schrieb 
heuchlerisch, daß Deutschland, um Italien zu knechten, es 
feit Jahrzehuten mit Spionen und anderen bedenklichen 
Leuten überschwemmt habe! In demselben Augenblick, wo 
die hingeopferten Leichen der „Lusitania" im irländischen 
Gewässer schwimmen, wo die deutschen Soldaten in Afrika 
die Brunnen vergiften und in Frankreich ihre Gegner mit 
der schamlosen Waffe der Stickbomben bekämpfen, dürfe 
Deutschland von den Italienern keine Unterstützung er 
warten. Im Gegenteil, die zivilisierte edle lateinische Seele 
empfinde Entsetzen. Der „Popolo Jtaliano", das leider 
Pbot. A. Grohs, Berlin. 
Fürst Bülow, 
der seitherige stellvertretende deutsche 
Botschafter in Rom. 
einflußreiche Mailänder Hetzblatt, forderte sogar auf, jeden 
Deutschen, der noch in Italien weile, an der nächsten 
Laterne aufzuknüpfen! 
Am 12. Mai schrieb der italienische Abgeordnete Cirmeni, 
ein persönlicher Freund Giolittis, in der Turiner „Stampa": 
„Dieser Tage wurde die sogenannte offiziöse Phase der 
Verhandlungen überwunden, die nunmehr in die letzte 
offizielle Periode eingetreten sind. Österreich-Ungarn und 
Deutschland unterbreiteten der Consultä amt 
lich die vom Freiherrn v. Macchio namens 
Österreich-Ungarns und vom Fürsten Bülow 
namens Deutschlands gezeichnete Urkunde, 
in der die Eebietsangebote Österreich-Un 
garns (siehe die Karte Seite 426) genau be 
zeichnet sind. Österreich-Ungarn bietet: 
1. das gesamte Trentino, den von Ita 
lienern bewohnten Teil Tirols; 
2. das Jsonzogebiet einschließlich Era- 
disca; 
3. sehr umfassende Autonomie der Stadt 
Triest samt Universität und Freihafen; 
4. DesinteressierungOsterreichs zugunsten 
Italiens in Südalbanien und sofortige An 
erkennung der italienischen Besitzergreifung 
von Valona; 
6. Österreich-Ungarn und Deutschland er 
klären sich bereit, mit freundschaftlichster Ab 
sicht die italienische Forderung der Abtre 
tung der Stadt Eörz und einiger dalmatini 
scher Inseln zu prüfen. 
Die Durchführung dieser Zugeständnisse 
wird vom Deutschen Reich garantiert." 
Der Sturm sollte aber nicht mehr zur 
Ruhe kommen. Die beständigen Schwan 
kungen in den Erwartungen wegen der Hal 
tung Italiens hatten die Aufregung des 
Volkes auf den Siedepunkt gesteigert. Eio- 
littis Unterredung mit dem König Viktor 
Emanuel und Salandra versetzte die Inter 
ventionisten aller Schattierungen in die 
höchste Wut, so daß sie versuchten, diesen 
Staatsmann unmöglich zu machen. Kein 
Schimpfwort war der Kriegspartei für Eio- 
litti zu stark. Der Mailänder „Popolo d^Jtalia" nannte ihn 
einen gemeinen Verbrecher und forderte das Volk auf, auf 
die Straße zu gehen, um den Krieg zu erzwingen. Eine 
Versammlung der Interventionisten in Rom nannte in einer 
Tagesordnung Giolitti einen Mitschuldigen der Fremden 
und einen Vaterlandsfeind. Der „Corriere della Sera" 
sprach von einer neuen Souveränität, die sich zwischen den 
Monarchen und die Regierung einzudrängen suche und klein 
liche Parteipolitik treibe, die wahren nationalen Interessen 
mit ihren großen Linien verkenne. 
Freilich fehlte es nicht an Kundgebungen für den Frieden, 
aber die Presse unterdrückte die Berichte darüber, und auch 
die Behörden nahmen eine feindselige Stellung gegen die 
Friedensfreunde ein. Trotzdem schien es kurze Zeit, als ob 
die Neutralisten Erfolg hätten, denn am 13. Mai brachte 
die „Agenzia Stefani" folgende Meldung: 
Baron Burian, 
Minister des Äußern der österreichisch-ungarischen 
Monarchie. 
Herzog v. Avarna, 
bisheriger Botschafter Italiens in Wien. 
Baron Karl Macchio, 
1. Sektionschef, stellvertretender österreichisch 
ungarischer Botschafter in Rom.
	        
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