Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Zweiter Band. (Zweiter Band)

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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. 
sie und begannen unter deutschem Kommando Kübel und 
Eimer herbeizuschleppen und zu arbeiten, wie vielleicht über 
haupt noch nie in ihrem Leben. 
Wie groß die Verwirrung der flüchtenden Russen war, 
erhellt daraus, daß am 30. April noch ein Liebesgabenzug von 
ihnen in die von uns besetzte Stadt einlief, was der Ver 
proviantierung unserer Truppen, deren Kolonnen bei den 
riesigen Marschleistungen nicht immer hatten nachkommen 
können, sehr zustatten kam. Ein russisches Bataillon, 
das bei Szadow ausgeladen wurde, kam gerade recht zur 
Flucht und marschierte leichten Herzens im allgemeinen 
Durcheinander mit zurück. Am 1. Mai wurden bei der 
Verfolgung 400 Gefangene gemacht. Die Hauptwirkung 
erzielte natürlich die weittragendste Waffe, die Artillerie, 
der die zurückflutenden Haufen ein willkommenes Ziel 
waren. Am selben Tag erreichten die Spitzen der deutschen 
Truppen schon die Gegend von Mitau. Den 2. Mai 
wurden bei der weiteren Verfolgung 1700 Gefangene 
gemacht» 4 Geschütze und 4 Maschinengewehre erbeutet, 
wodurch sich die Gesamtzahl der Gefangenen bei dem 
ganzen deutschen Vorstoß auf 3200 erhöhte. Auch miß 
glückten feindliche Flankenstöße aus dem Gouvernement 
Suwalki bei Kalvarija, die leicht hätten gefährlich werden 
können. Einen Tag darauf hatte sich die Zahl der Ge 
fangenen auf 4000 Mann erhöht. Ein erneuter Angriffs 
versuch der Russen bei Kalvarija scheiterte ebenfalls. Deshalb 
versuchten die Russen am 4. Mai eine neue Bedrohung 
unserer Flanke und unserer rückwärtigen Verbindungen durch 
einen Vorstoß aus der Festung Kowno, der jedoch durch 
die deutschen weitschauenden Vorsichtsmaßregeln in der 
Gegend von Rossieny am 5. Mai zum Stehen gebracht werden 
konnte und in einen verlustreichen Rückzug dieser russischen 
Streitkräfte verwandelt wurde, so daß auch ihr Eingreifen 
in die Gefechte südlich Szadow und südwestlich Mitau vor 
läufig nicht mehr zu erwarten war. Am 7. Mai kam eine 
neue Freudenkunde. Unsere Truppen hatten die Stadt Libau 
genommen, die Festung und zugleich Kriegshafen ist. 1600 
Gefangene, 12 Geschütze und 24 Maschinengewehre waren 
die Siegesbeute nebst großen Lagern von Kriegsvorräten. 
Die Bilder auf dieser und der folgenden Seite zeigen das 
Leben auf dem großen Hafenplatz nach der Besetzung und 
einige gesprengte Werke mit den mächtigen Betonblöcken 
(vgl. auch Band I, Seite 151). 
Größere russische Gegenstöße wurden am 8. Mai aus 
der Gegend von Mitau her unternommen, vor denen unsere 
schwächeren, gegen Mitau vorgeschickten Abteilungen langsam 
auswichen. Doch war unterdessen von uns bereits die Eisen 
bahn von Wilna nach Szawle gründlich zerstört worden. 
Diese Sprengung des hochwichtigen Schienenstranges dürfte 
wohl einer der Hauptgesichtspunkte gewesen sein, die be 
stimmend waren für den deutschen Vorstoß an jener Stelle. 
Auch unsere Flotte betätigte sich an dem deutschen 
Vorgehen. So meldet der Eeneralstab des russischen Ober 
befehlshabers, daß am 1. Mai unsere Torpedoboote dem 
Rigaer Meerbusen einen Besuch abstatteten. Ferner soll 
nach russischen Meldungen ein kleiner deutscher Kreuzer 
die gegnerischen Feldbefestigungen bei Polangen in Grund 
und Boden geschossen haben, wobei die Russen das Feuer 
der weittragenden Schiffsgeschütze nicht hätten erwidern 
können, sondern zur Untätigkeit verdammt gewesen seien. 
❖ 
Uber die auf Seite 330 und 331 erwähnten Kämpfe 
in den Karpathen in der ersten Hälfte des April sind erst 
wesentlich später nähere Einzelheiten bekannt geworden. 
Sehr wichtig war die nördlich von Tucholka am 9. April 
eroberte Höhenstellung Zwinin, um die seit dem 5. Februar 
erbittert gekämpft worden war. Die Russen hatten sich in 
den Berghängen eingegraben und leisteten einen zähen und 
gut geleiteten Widerstand. Es ist leicht zu verstehen, daß in 
einem Gebirge wie den Karpathen die Verteidigung weniger 
schwierig ist als der Angriff, vorausgesetzt, daß sich der Ver 
teidiger gegen eine Umgehung gesichert hat. Ungleich größere 
Anforderungen stelltdasEebirgeandenAngreifer. Truppen, 
denen es gelingt, einen hartnäckig verteidigten Berg zu 
nehmen, verdienen in jedem Fall das höchste Lob, weil diese 
Leistung an das Übermenschliche grenzt. Die Russen hatten 
die Karpathen besetzt und waren in dem Gebirge wie zu Hause. 
Kettenähnlich hatten sie ihre Stellungen angelegt und jede 
Umgehung unmöglich gemacht. Wer ihnen beikommen wollte, 
mußte ihnen die Stirn bieten. Bei den Kämpfen um den 
Zwinin hatten die Russen obendrein den Vorteil, von einem 
anderen Berg dem Angreifer in die Seite fallen zu können. 
„Trotz all dieser Schwierigkeiten", heißt es in einem Be 
richt, „nahmen deutsche Truppen den Berg, der in einer 
Höhe von 992 bis 1038 Meter den Schlüssel zu Skole bildet. 
Der Besitz von Skole ist deshalb wichtig, weil die Eisenbahn 
Munkacs—Volocz—Skole durch das Oportal in einem ost 
wärts gezogenen Bogen führt, der den westwärts auf der 
Paßstraße Verecke—Lysa vorgedrungenen deutschen Truppen 
nicht als Etappenlinie dienen konnte. Bis dahin mußten 
sie ihren ganzen Bedarf an Munition und Proviant mit 
Pferdekraft über die Paßhöhen bringen, eine Leistung, die 
vielleicht nur einem deutschen Train möglich ist. Schwer 
war es schon, als die Paßhöhen noch mit Schnee und Eis 
belegt waren; jetzt, in Schlamm und Kot bis über die 
Wagenachsen, war es eine Herkulesarbeit. Aber es wurde 
geschafft; der Zwinin wurde genommen." 
Bon den zwei finnländischen Schützenregimentern (etwa 
4000 Mann), die den Berg besetzt gehalten hatten, wurden 
1500 gefangen genommen, die übrigen lagen auf der 
Walstatt als Zeugen eines Kampfes, der zu den blutigsten 
und erbittertsten des ganzen Krieges gehören dürfte. Unser 
oberster Kriegsherr belohnte diese Heldentat unserer braven 
Truppen und den Scharfsinn ihrer Führer damit, daß er 
sämtliche Leute mit dem Eisernen Kreuz schmücken und den 
Führern außerdem noch hohe Anerkennungen zukommen 
ließ. In den nächsten Tagen nach diesen Kämpfen ver- 
Hofphot. Kühlewmdt, Königsberg i. Pr. 
Bombensichere Werke in Libau, die von den Russen vor Räumung der Stadt am 8. Mar 1915 gesprengt wurden.
	        
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