Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Zweiter Band. (Zweiter Band)

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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. 
klammerung. Leider vereitelte aber die Mißgunst des 
Wetters den verdienten Lohn für alle Anstrengungen. Das 
Gelände dort zwischen dein Pograddurchbruch und dem 
Uzsoker Patz bietet schon dem friedlichen Warenaustausch 
erhebliche Hindernisse, laufen doch die Höhenrücken kreuz 
und quer und lassen fast kein längeres Tal als nennens 
werte Verkehrsader zur Geltung kommen. Nun fiel meter 
hoher Schnee, allenthalben Weg und Steg sperrend; dazu 
behinderte dichter Nebel jede Fernsicht. Dieser Feindschaft 
der Naturgewalten mutzte sich auch der beste, der eisernste 
Wille beugen. Die Russen aber benutzten die so gewonnene 
Frist, auf den ihnen sehr günstigen galizischen Eisenbahn 
linien riesenhafte Verstärkungen heranzuziehen, mit denen 
sie dann jenen vielgenannten Durchbruch nach Ungarn ver 
suchten, der in der „Osterschlacht in den Karpathen" seinen 
Höhepunkt erreichte und ihnen statt erwähnenswerter Er 
folge nur ungeheuere Verluste brachte. Als Beispiele für die 
Menschenverschwendung, mit der sie ihr Ziel zu erreichen 
suchten, seien zwei Vorstöße aus dem Beginn jenes wochen 
langen zähen Ringens beschrieben. 
Am 19. März nachts entbrannte auf der Lupkower Linie 
und weiter westlich eine heftige Schlacht. Oberhalb Mezö- 
Laborcz im Laborczatale griffen die Russen in fünffachen 
Schwarmlinien die österreichisch-ungarischen Stellungen an. 
(Hierzu das Bild Seite 369.) Die ersten drei Reihen der 
Stürmer brachen im feindlichen Schnellfeuer zusammen. Die 
folgenden arbeiteten sich nichtsdestoweniger immer weiter 
nach vorn, in der rücksichtslosesten Weise von ihren Offi 
zieren mit Peitsche und Revolver angetrieben. Aber in 
zwischen hatten auch die österreichisch-ungarischen Truppen 
Verstärkungen erhalten. Das Feuer der Infanterie und der 
Honvede und der alsbald folgende heldenmütige Gegen 
angriff brachten die Russen rasch zum Stehen; nicht lange 
und sie mutzten fliehen, wobei sie den größeren Teil ihrer 
Leute verwundet oder tot auf -dem Platze zurückließen. 
Außerdem wurde eine stattliche Anzahl gefangen genommen. 
An einer anderen Stelle, der Kamienhöhe, geriet 
wenige Tage später eine Tscherkessendivision mit dem 
Debrecziner Honvedinfanterieregiment ins Gefecht. Auch 
hier handelte es sich um einen in großem Maßstab angelegten 
Durchbruchsversuch. (Hierzu die Kunstbeilage.) 
Der Anprall geschah ganz unversehens und war von 
großer Wucht. Ehe man es sich versah, kam es zum Nah 
kampf, ja zum Handgemenge. Die tapferen Honvede, wie 
wohl an Zahl geringer, ließen an Mut und Kraft nichts zu 
wünschen übrig. Sie schossen glänzend und stachen mit dem 
Bajonett, daß der Schnee sich allenthalben blutrot färbte. 
Und wenn sie mit dem Gewehr nicht mehr schießen konnten, 
verwendeten sie es verkehrt als Keule. Sehr tapfer hielten sich 
aber auch die Tscherkessen. Hunderte blieben tot auf der grau 
sigen Walstatt, nur wenige ließen sich gefangen nehmen. 
Noch einige Worte über die Tscherkessen. Obwohl sie 
ihre Erhaltung als Volksstamm eigentlich den Russen ver 
danken, denen sie sich im 16. Jahrhundert unterwarfen, hatten 
sie doch wiederholt mit den Russen Streit und führten 
manche Kriege gegen sie. Erst seit ungefähr einem halben 
Jahrhundert bilden die Tscherkessen aus den Provinzen 
Kuban und Terek im Norden des Kaukasus halbwegs ver 
läßliche Teile der russischen Armee. Ihre alte Tracht, 
bestehend aus einem langen Rock, Tscherkeßka genannt, 
reihenweise angebrachten Patronentaschen auf der Brust und 
einer hohen Schaffellmütze, haben jetzt auch die kaukasischen 
Kosaken angenommen. 
Nach der Übergabe Przemysls an die Russen tauchten 
Abteilungen dieses Volksstammes auch in den Karpathen auf. 
Hier im Gebirge fühlten sie sich sehr heimisch, und obgleich 
der Schnee in diesem Winter in den Karpathen außer 
gewöhnlich hoch lag, haben die Tscherkessen allen Schwierig 
keiten getrotzt. Aber trotz ihrer Wildheit und ihres oft 
tollkühnen Mutes können sie regelrechten Truppen schwer 
standhalten; sie zogen immer den kürzeren, sobald sie auf 
halbwegs starke Abteilungen deutscher oder österreichisch 
ungarischer Truppen stießen. Ihre Reihen sind daher 
jetzt schon stark gelichtet; zwar fielen verhältnismäßig wenige 
Tscherkessen unverwundet in Gefangenschaft, dagegen ist die 
Zahl ihrer Toten außerordentlich groß. 
Der Sturmleiteran griff 
aus dem Steinbruch bei Vregny. 
Von Paul Otto Ebe. 
(Hierzu das Bild Seite 373.) 
Aus der Schlacht von Soissons in der ersten Hälfte des 
Januar kann heute eine weitere Einzelschilderung (vgl. auch 
Seite 196 und 310) mitgeteilt werden, die nicht nur in 
taktischer Hinsicht, sondern hauptsächlich auch in technischer 
Beziehung allgemein fesselnd sein dürfte. Gehört doch 
ein Sturmleiterangriff im Kampfe um Feldbefestigungen 
sicherlich zu den Seltenheiten der Geschichte des heutigen 
Krieges. Daß er so vorzüglich glückte, ist nicht nur ein 
gutes Zeichen für die äußerst peinliche und gewissen 
hafte Vorbereitung dieses Planes, sondern auch für den 
Heldenmut und die Selbsttätigkeit der Führer, Unterführer 
und Mannschaften an jener Stelle. Denn es gibt keine 
Angriffsart, die derartige Anforderungen an jeden einzelnen 
stellt und ihm bei unvorhergesehenen kleinen Störungen 
so ausschlaggebend für Erfolg oder Mißerfolg mitzuwirken 
Gelegenheit gibt, wie den Sturmleiterangriff. Ein in der 
Hast mangelhaft befestigtes Seil, ein Stutzen am oberen 
Leiterende, ein unvorsichtiger Tritt in der Dunkelheit kann 
Tod, Zeitverlust, Alarmierung des Feindes zur Folge haben. 
Die allgemeine Lage war, daß die Deutschen am 
12. Januar zum Gegenangriff vorgingen, der sich jedoch 
vorerst nicht, wie die Franzosen, Turkos und Zuaven des 
dortigen Kampfabschnittes erwartet hatten, gegen die 
Höhe 132, sondern gegen ihre stark befestigten Stellungen 
auf den Anhöhen von Vregny richtete. Das Infanterie 
regiment v. Stülpnagel (5. brandenburgisches) Nr. 48 lag 
damals in einem Steinbruch östlich der 
Straße Laon—Crouy, nicht weit von 
der Ferme Pierriore. Die drei Meter 
hohen senkrechten Steinwände waren 
oben gekrönt durch die feindliche Stel 
lung, die mit allen Mitteln der neu 
zeitlichen Feldbefestigung verstärkt wor 
den war und ihre Drahthindernisse ab 
wehrend bis auf die äußersten Punkte 
vorschob. 
Dennoch wurden vom Angreifer- 
ganz im geheimen hinter der Front 
Baumstämme zu Sturmleitern und 
Eleitstangen verarbeitet, Taue aufge 
trieben und Stricke zu Tauen gedreht. 
Noch im Zwielicht des dämmernden 
Morgens tauchten plötzlich deutsche Ge 
stalten dicht vor den fraazösischen Hin 
dernissen auf. Immer neue Schützen 
wellen fluteten durch die Sturmgassen, 
die inzwischen mit Drahtscheren in die 
Hindernisse geschnitten worden waren, 
auf die feindlichen Gräben zu. Blitz 
schnell klommen Unterstützungen und 
Reserven Mann für Mann an den für- 
unbezwingbar gehaltenen Felswänden 
Eine Waldbahn Ln den Argonnen. A. Grohs, Berlin. 
Einige Leichtverwundete aus der ersten Schützenlinie werden zum Verbandplatz befördert.
	        
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