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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15.
jedoch sowohl in den Berichten als in Erzählungen der Mit
kämpfer die großen Anstrengungen, die der zähe, mühe
volle und zeitraubende Stellungskampf dort forderte.
Die Unübersichtlichkeit des bewachsenen Geländes ist
wie geschaffen für tägliche Überraschungen. Patrouillen,
die sich vorschleichen, stehen öfter plötzlich auf fünf Schritt
einer feindlichen gegenüber, die ebenso die Bäume als
Deckung benutzt hat und für den Bruchteil einer Sekunde
ebenso überrascht zurückprallt, bis die Waffen schnell ent
scheiden (siehe Seite 296). Größere Abteilungen erheben sich
im Schutz der Morgennebel und des Geländes, eilen auf
einen leisen Pfiff vorwärts, um erst dicht vor dem feindlichen
Schützengraben — zu spät — vom Gegner erkannt und be
schossen zu werden. Mannschaften, die zum Essenfassen aus
dem Graben rückwärts kriechen, haben sich schon hie und da
beim Wiedervorkriechen in der Richtung getäuscht, um über
raschend für beide Teile in den feindlichen Graben zu
purzeln. Maschinengewehr- und Jnfanteriefeuer knattert
durch den Wald. Nirgends ist ein Gegner zu entdecken,
ein, um schleunigst wieder aufzusitzen und auf nahen Straßen
das Weite zu suchen, bevor noch unsere Jnfanterieangriffe
ihre Stellung erreichten. Größere Truppenmassen, die
standgehalten hätten, wurden in den Argonnen weder
beim Vorrücken der Armee des Kronprinzen von Preußen
angetroffen, noch beim Durchsuchen der Waldränder, noch
als Mitte September der Stellungskampf zwischen Reims
und Maas begann.
Erst der Zufall stempelte diese Wälder zum Kampf
platz. Schwache deutsche Abteilungen waren von beiden
Waldrändern aus, nämlich von Binarville und Chätel (siehe
Skizze Seite 352) in das Waldinnere als Seitendeckungen
geschickt worden. Gegen diese setzten die Franzosen stärkere
Kräfte ein, um unsere Stellungen, die sich an den Wald
westlich und östlich anlehnten, zu umfassen.
Damit begann eine neue militärische Beurteilung der
Argonnen. Dieser Umschwung kam nicht allein den Zivil-
strategen so überraschend, daß mancher sich heute noch nicht
damit abfinden kann. Das sind die Besserwisser, die nach-
Die heilige Fahne wird, von Generalen und höchsten. Würdenträgern geleitet. Ln feierlichem Zuge zum Generalkommando in Damaskus gebracht.
bis man die französischen Alpenjäger in schwarzen Ziegen
fellen hoch oben im dunklen Geäst der Baumriesen an
gebunden herunterfeuern sieht und die Baumkanzeln mit
den feindlichen Maschinengewehren entdeckt. Als das
Laub fiel, nahmen wir zur großen Überraschung der Fran
zosen sogar unsere Geschütze mit in den Urwald, nachdem
wir durch abgeholzte Kolonnenwege, Balkenbettungen und
ähnliche Pionierkunststücke die widerspenstigen Waldbestände
unserem Willen unterworfen hatten.
Auch die Überraschungen des Schützengrabenkampfes auf
nächste Entfernungenfanden hier günstigste Anwendung. Da
zu gehören die durch Zeitungen schon lange in der Öffent
lichkeit bekannten unterirdischen Minenangriffe, die ober
irdisch wirkenden Handgranaten, Eewehrgranaten, Revolver
kanonen, kleinkalibrige Kanonen, Minenwerfer, Stinkbomben,
Brandröhren, Spritzen mit Brennsubstanz und dergleichen.
Von der Lebhaftigkeit des Kampfes kann man sich ein
Bild machen, wenn man weiß, daß wir den Franzosen in
den Argonnen beispielsweise allein in einem Monat, im
Dezember 1944, 21 Maschinengewehre, 14 Minenwerfer,
2 Revolverkanonen, 1 Vronzemörser abnahmen und daß
bei einem kleineren deutschen Vorstoß am 30. Januar 1915,
der keinen großen Eeländegewinn einbrachte, nicht nur
her sagen, wie es vorher „hätte gemacht werden müssen".
Diese bedenken ferner nicht, was General Eourand, der
Kommandeur der 10. französischen Division in den Argonnen,
sagte: „daß sich der Gegner mit den gleichen Schwierig
keiten abzufinden hat"; oder anders gesagt: Ebenso gerne,
wie wir die Argonnen jetzt wieder hinter uns Hütten, wären
die , Franzosen jetzt froh, wenn sie ohne Eeländeverluste
wieder draußen sein könnten. Sieht es in der Tat nicht
ganz so aus, als ob sie, wie ein Fisch, zufällig etwas an
gepackt hätten, das ihnen immer mehr Mühe verursacht
und woran sie sich allmählich verbluten? Man bedenke, daß
bis Ende Januar 36000 Franzosen, also ein Armeekorps, dort
aufgerieben wurden gegen nur ein Drittel deutscher Verluste!
Vauquois, Pavillon Barrikade, Pavillon Bagatelle,
Binarville sind die Kampforte der ersten Oktoberhälfte.
Dann arbeiteten wir uns noch weiter vor bis in die Nähe
von Vienne le Chateau und 400 Meter nördlich von Le Four
de Paris. Tagtäglich wußten die beiderseitigen Berichte
von hin und her wogenden Kämpfen oder von neuem
deutschem Vorrücken zu melden. Bald betrug der Ee-
lündegewinn nur 25 Meter, bald 1000 Meter, je nachdem
ein Schützengraben oder ganze Schützengrabengruppen
dem Gegner entrissen werden konnten. Stets spiegeln sich