Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Zweiter Band. (Zweiter Band)

Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. 
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gebäcks. Aber man hat sich zu beeilen. Oftmals führt 
man in diese Keller nur gerade hinein und wieder heraus, 
denn die Deutschen haben die leidige Angewohnheit, hinter 
ihren Laufgräben eine Kanone auf Zeit zu stellen, die alle 
fünf oder zehn Minuten gewisse Straßenzüge abstreicht 
oder bestimmte Hauseingänge absucht. Mehr als einer hat 
auf diese Weise schon sein Leben lassen müssen oder eine 
Erinnerung auf Lebenszeit davongetragen. 
Unter diesen Nebengedanken werden die Leute schweigend 
von neuem aufgestellt, und nun geht es im Gänsemarsch 
vorwärts. Ein Kunststück, in pechfinsterer Nacht einen Weg 
durch die verschütteten Straßen zu finden. An einigen 
Stellen ist ein Haus der Länge nach quer über die Straße 
gefallen, und man muß sich einen Übergang zwischen dem 
lebensmüden Hause, das sich auf die Seite legte, und dem 
gegenüberstehenden erzwingen. Dann kommen wieder 
Granatlöcher von 5 oder 6 Fuß Weite,, die einen neuen 
Umweg nötig machen. Und nun fängt auch schon das Singen 
der Kugeln über unseren Köpfen an. Mit Mühe und Not 
kommen wir ans dem Dorf heraus lind haben jetzt den ge 
fährlichsten Teil des Marsches vor uns. Außer der berüch 
tigten Kanone, die die Runde abschießt, gibt es ungeheuerlich 
viel Schüsse, die aus den verschiedensten Richtungen kommen 
und sich zu einem Netz verdichten. Eine Menge von unseren 
Leuten hat hier schon bluten müssen. Mitten in der Straße 
liegt ein zerschmetterter Autoomnibus und noch viel ärger 
zerschmetterte Bäume, und daneben schweift der Blick 
auf ein einsam gelegenes Häuschen, das überaus schwer 
und oft bombardiert worden ist, weil man wohl fürchtete, 
daß es einem Artillerieoffizier als Beobachtungsposten 
dienen könne. Bald erreichen wir das einst so hübsche 
Dorf T., das in den letzten Kriegsberichten vielfach Er 
wähnung fand. Es gibt keine Straße mehr, die dort hin 
durchführt — ein Fußpfad allein ist übriggeblieben, der 
stellenweise im Graben verläuft, um den 18—20 Fuß 
breiten Granatlöchern aus dem Wege zu gehen. Die 
Hälfte eines Autoomnibusses liegt weit von der dazuge 
hörigen anderen Hälfte. Wahrscheinlich wollte er sich mit 
einem kühnen Sprung in Sicherheit bringen und wurde 
doch mitten entzweigeschnitten. Drei Koffer versperren 
auch noch den schmalen Pfad. Niemand nimmt sich die 
Zeit, sie zur Seite zu räumen, denn hier, 200 Ellen hinter 
der Front, schwirren die Kugeln schon in Schwärmen. 
Wir bahnen uns unseren Weg durch gespenstische Ruinen 
einst prächtiger Villen, über traurige Trümmer leergebrann 
ter Scheunen, über kostbare, im Straßenschmutz liegende 
Möbel, während die Kugeln unter Feuerblitzen mit einem 
schnalzenden Aufschlagen wie von einer Peitsche auf die 
Mauern und Bäume prallen. Weiter und weiter kommen 
wir, und immer mehr krümmt sich unser Rücken. Plötz 
lich sinkt der Fuß ein. Meterhoher Schlamm will uns 
zurückhalten, bis eine verirrte Kugel sich ein Ziel sucht. 
Aber man arbeitet sich an einer Hecke empor, um weiter 
hinten von neuem in einen alten Laufgraben zu fallen, 
der voll von Wässer ist. Und gerade in diesem Augenblick 
flammen wieder die verwünschten deutschen Leuchtfeuer 
auf. Platt fallen wir alle auf den Bauch. Es hilft nichts. 
Wir sind keine 100 Ellen mehr von unserem Laufgraben. 
Wie ich ein wenig den Kopf hebe, 
sehe ich gerade in das geisterhafte 
Antlitz eines Toten, der zum Himmel 
aufstarrt. Noch sinne ich einer Ähn 
lichkeit nach, da erlischt der Schein, 
und „Marsch, marsch!" heißt es. Im 
Zickzack führt die Fußspur zwischen 
Eranatlöchern hindurch, die das Feld 
besäen wie Gänseblümchen eine Wiese. 
Obwohl nur 100 Ellen, kosten sie uns 
doch zehn bange Minuten. „Wer da?" 
kommt^s aus der Finsternis. Nun ist 
es nicht mehr weit. Wie sehnt man 
sich danach, mit einem letzten Sprung 
nach dem nicht allzu sicheren Schutz 
hinzustürzen! Aber die Vorsicht hält 
uns nieder. Und so kriechen wir und 
halten, liegen minutenlang im tiefen 
Schmutz und warten, und kriechen dann 
wieder ein Stückchen, und so fort, bis 
sich der Pfad endlich zum Laufgraben 
hinabsenkt. Aber noch gibt es keine Ruhe. 
Die Leute machen sich gleich an die Arbeit. Sie wollen 
vergessen, den aufgepeitschten Nerven Zeit zur Ruhe 
gönnen und sich etwas warm machen. Heraus aus dem 
Wasser und dem Dreck! Einen festen Boden unter die 
Füße. Dann die Brüstung erhöht und einen Durchgang 
geschlagen ... es gibt genug zu tun im Laufgraben. Nur 
ja nicht den Kopf herausgesteckt — gleich summt einem 
eine Kugel um die Ohren und heißt einen schneller sich 
ducken, als man sich aufrichtete. Von Zeit zu Zeit steht 
einer der Leute schwerfällig auf, hält Ausguck, feuert 
und macht sich dann schnell wieder klein, denn schon schwirrt 
ihm die Antwort über den Kopf weg. Manchmal 
schlägt die Kugel auch auf den Stein, dann stieben hell 
leuchtende Funken auf. So vergeht die Nacht. Um drei 
Uhr heißt es schon wieder auf dem Posten sein, und nach 
einem gefahrvollen Tage gibt es dann wieder den noch 
gefahrvolleren Rückweg. 
Die Überraschungen im Argonnenwald. 
Von Paul Otto Ebe. 
(Hierzu die Bilder Seite 352 und 353 sowie die Kartenskizze Seite 352.) 
Ein preußischer Schriftsteller sagte vor kurzem in der 
schwäbischen Residenz Stuttgart: „Die furchtlose Treue 
der Schwaben, die mit so großen Verlusten besiegelt wurde, 
hat sich im ganzen deutschen Vaterlande hohe Anerkennung 
verschafft." Ein nicht geringer Teil dieses Lobes stützt 
sich auf die württembergischen Erfolge in und bei den 
Argonnen, von denen uns erst in letzter Zeit wieder eine 
Freudenkunde kam: die Erstürmung von Vauquois (siehe 
Bild Seite 353). 
Dieses Bild führt uns an einen Teil des interessantesten 
Gefechtsabschnittes der ganzen Westfront, denn nirgends - 
sonst werden wohl in taktischer wie in schießtechnischer Be 
ziehung solche Anstrengungen unter Ausprobieren und Aus 
nutzen der mannigfaltigsten Neuheiten gemacht. 
Ich kenne die Argonnen schon, seit wir in glühender 
Septembersonne an dem undurchdringlichen Waldgebiet 
aus Eichen, Erlen, Buchen und dichtem Buschwerk mit 
Stechpalmen, Besenginster sowie zahlreichen Kletter 
pflanzen entlang marschierten. Die damaligen Kriegs 
erfahrungen hatten in uns allen die Meinung bestärkt, daß 
in derartigen französischen Urwäldern unmöglich gekämpft 
werden würde. Schon bei kleineren Waldungen ver 
schwanden Kompanien und Bataillone beim Vormarsch 
außerhalb der Wege oft stunden-, vereinzelt sogar tagelang, 
weil sie mit Seitengewehren, Arten, Sägen und Beilen 
höchst mühsam ihren Weg bahnen mußten. Dabei stieß man 
nie auf kampfkräftige gegnerische Truppen, so daß die ganze 
Sorgfalt allmählich nutzlos.schien und sogar nachteilig wirkte, 
da die links und rechts an den Waldungen vorbeimarschieren 
den Nebenabteilungen nur schwer wieder eingeholt wurden, 
wenn diese nicht ihrerseits kostbare Zeit durch Warten 
opfern wollten. So wurden die Argonnen Anfang Sep 
tember 1914 noch als „ungangbares Gelände" bewertet, 
wie sie auch 1870 nie zum Kampfplatz geworden waren. 
Nur in den Waldrändern nisteten sich vereinzelt kleinere 
französische Kavallerie- und Maschinengewehrabteilungen 
Parade einer Kamelreiterschwadron in Damaskus.
	        
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