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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15.
Dauerfleisch ist die Bevölkerung infolge der mangelhaften
Adschlachtungen auch gebracht worden. Hoffentlich kommen
ihr dafür nun die lebendigen Schweinefleischvorräte im
Sommer und Herbst zugute.
Unter der Konkurrenz des großen Viehbestandes leidet
auch die Versorgung der breiten Städtermassen mit Mager
milch, deren Genuß ihnen ebenso dringlich wie die Kar
toffelspeisung empfohlen worden ist, und jener Mangel wirkt
natürlich auch auf die Vollmilchpreise. Auch der Zucker
genuß wird den Verbrauchern durch die Kontingentierungs
und Steuerpraris nicht gerade versüßt, obwohl Zucker als
Ersatz für das knappe Fett immer wieder angepriesen wird.
Die laute Verteidigung des Kuchens als des wirksamsten
Zuckerträgers ist allerdings glücklicherweise endlich ver
stummt. Denn die Kuchenschleckerei war geradezu ein
Krebsschaden geworden, der vom Standpunkte der Volks
erziehung verhängnisvoll wirkte. Wer nämlich in den Auf
klärungsversammlungen den Massen Sparsamkeit, Enthalt
samkeit von Brot, Fett und Eiern predigte, erhielt stets
die Antwort: „Solange die Leute sich in den , Kon
ditoreien und Bäckereien für überflüssige Zwischenmahl
zeiten mit Kuchen vollstopfen können, kann es noch nicht
so ernst um uns in der Ernährungsfrage stehen!" Schärfer
noch lautete ein ähnlicher Einwand gegen die Sparsamleits
mahnungen: „Möge die Regierung erst die Trinkbrannt
weinherstellung verbieten. Wenn wir noch Korn und Kar
toffeln zum Fusel übrig haben, brauchen wir nicht zu fasten!"
Erfreulicherweise ist die Trinkbranntweinherstellung jetzt
stark eingeschränkt worden.
In allen diesen Bemerkungen steckt ein gut Teil Wahr
heit, wenn auch nicht die höchste volkswirtschaftliche Weis
heit. Denn es stehen zu viele verschiedenartige wirtschaft
liche Interessen wichtiger Erzeuger- und Verbrauchergruppen
einander gegenüber, zwischen denen die Regierungen ver
mitteln möchten. Ob das in der Kriegswirtschaft immer
angeht, ob unter vielseitiger Rücksichtnahme nicht mitunter
die Hauptsache, das Eesamtvolk in seiner Ernährung zu
sichern und widerstandsfähig und zuversichtlich zu erhalten,
leiden kann, bleibt freilich auch wieder zu bedenken.
Immerhin: wir sind bis jetzt gut durchgekommen.
Unsere Brotversorgung ist bis zur neuen Ernte im August
vortrefflich gesichert. Von den Kartoffeln hoffen wir ein
gleiches bis Mitte Juli, wo die Sommerkartoffeln den
Städtern, wenn auch zu hohen Preisen, regelmäßig zu
geführt werden. Frische Gemüse sind seit Ende Mai
ausreichend zu haben; im übrigen decken uns die von den
Stadtgemeinden und der Zentraleinkaufsgesellschaft auf
gespeicherten Konserven, Hühenfrüchte, Reisvorräte, Dauer
fleischwaren usw., die für die Minderbemittelten zweckmäßig
in großen Zentralküchen speisefertig zubereitet werden
sollten, vollkommen neben den Vorratsmengen, die seit
langem in den privaten Haushaltungen vorhanden sind. Die
Milchversorgung ist gut gesichert,' da wir unsere Rinder
bestände wenig zu schmälern gebraucht haben. Im Not
fälle würden wir uns an diesem Viehkapital vergreifen,
um eine zeitweilige Lücke zu füllen.
Auf allen Ackern wächst es. Jeder Fleck Land, der
irgend Ertrag verspricht, auch in den feindlichen Gebieten
hinter unserer Front, ist unter die Hacke genommen. Für
eine große künftige Ernte ist alle Vorsorge getroffen, auch
in bezug auf Saatgutverteilung und Beschaffung künstlichen
Düngers. Nun kommt es darauf an, daß wir stark im
Willen und in der Zucht bleiben, die zum Durchhalten
gehören. Dann bricht die Rechnung der Gegner, wonach
das deutsche Volk vor Hunger werde kapitulieren müssen,
in sich zusammen. Wahrscheinlicher ist sogar, daß ein Teil
unserer Gegner wirtschaftlich bald die Segel streichen muß.
Ein Parlamentär.
(Hierzu das Bild Seite 317.)
Längst hatte der deutsche Doppelposten der Den Ein
gang des Dorfes F. auf der Linie Bapaume—Albert
sichernden deutschen Feldwache die beiden Reiter gesichtet,
die plötzlich in der französischen Linie aus dem Morgen-
dunst aufgetaucht waren 'und in kurzem Trabe näher und
näher rückten. Ohne Zweifel kamen die Reiter nicht in
feindlicher Absicht, führte der eine doch eine weiße Fahne,
die aus einem weißen Tuch hergestellt war, das man an
eine Dragonerlanze geknotet hatte.
Jetzt sah man schon ganz deutlich die Gesichter der
Reiter und erkannte auch ihren Dienstgrad. Es war ein
spitzbärtiger französischer Stabsoffizier in Begleitung seines
Stabstrompeters.' Gar zu gern hätte der französische Major
einen Blick in die deutsche Stellung getan. Nur ein paar
Augen voll von der deutschen Stellung mit heimzubringen,
das war der tiefere Zweck seiner Sendung.
Mitten in seine Hoffnungen hinein kamen die beiden
deutschen Soldaten hinter der Mauer des freiliegenden
Gehöftes, ihrem weit nach der französischen Stellung vor
springenden Beobachtungsposten, gemessenen Schrittes vor.
Einer hob den Arm und gebot kurzschallend: „Halt!" In
gutem Deutsch verlangte der französische Offizier freien
Durchlaß als Parlamentär. Der deutsche Soldat aber
verweigerte ihm in straffer militärischer Haltung und
ehrerbietigem dienstlichem Ton diesen Wunsch: „Herr
Major müssen hier halten! Mein Kamerad wird aber
sofort dem nächsten deutschen Offizier die Meldung über
bringen!"
Ärgerlich zuckte es dem Offizier um die Mundwinkel.
Er widersprach aber nicht. Er weiß, daß dieser Mann, von
defsen Kriegserfahrung das bescheidene schwurzweiße Band
im Mantel mehr erzählt, als dem Franzosen lieb ist, eher
tausend Tode stirbt, als ein Quentchen von seinem Befehl
abweicht oder in seiner Entscheidung in diesem Augenblick
auch nur eine Zehntelsekunde sein militärisches Gefühl
preisgibt. Mit dem Willen dieses Mannes, das ist dem
Major gewiß, bekommt er keine deutsche Helmspitze zu sehen.
Erbeutete französische und englische Feldgeschütze auf einem Hofe der Kruppschen Werke in Essen.
Phot. A. Grohs, BerUn