Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Zweiter Band. (Zweiter Band)

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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. 
jede Kriegsdauer gesichert, nur die Massenernährung der 
67 Millionen Menschen, mit denen (laut Zählung vom 
1. Dezember 1914) 21,8 Millionen Stück Rindvieh, 25,3 Mil 
lionen Schweine, 5,4 Millionen Schafe, 3,5 Millionen 
Ziegen und rund 5 Millionen Pferde um die Wette an 
unseren Beständen zehren, macht uns Kopfzerbrechen, und 
zwar gegenwärtig um so mehr, je weniger wir uns in den 
ersten Kriegsmonaten den Kopf über die Vorsorge bis zur 
nächsten Ernte zerbrochen und entschlossen die Lösung 
dieser damals erst von wenigen in ihrer Bedeutung erfaßten 
Aufgabe angepackt haben. Man kann fast sagen, unsere 
Gegner haben sich früher Gedanken über die deutsche Volks 
ernährung im Kriege gemacht als wir selber, die wir durch 
übertriebene Ernteschätzungen und durch die Erwartung 
eines raschen Kriegsendes zu einer allzu rosigen Auffassung 
kamen, die zwar für die Stärkung der Kriegsnerven auch 
ihr Gutes hat, aber infolge Vernachlässigung der kritischen 
Seiten unserer Wirtschaftslage die rechtzeitige Abwehr verab 
säumte. 
Wir hatten in den ersten Kriegsmonaten keine größere 
Sorge auf dem Ernährungsgebiete, als die Preise für 
Lebensmittel in erträglichen Grenzen zu halten und den 
kleinen Wucherern das Handwerk zu legen. Allmählich 
wagte man auch den Preistreibereien der Großhändler und 
der Produzenten von Getreide und Kartoffeln Schranken 
zu ziehen. Dann begann die Einsicht zu dämmern, daß 
unsere Getreideernte doch nicht so gut ausgefallen sei, wie es 
die Fachleute im August immer wieder versichert hatten, 
und daß die Viehfütterung mit Roggen, der die fehlende 
ausländische Futtergerste ersetzen mußte, nicht eben zur 
Verlängerung unserer Eetreidevorräte beitrage. Mahnungen 
zum Maßhalten erfolgten, Einschränkungen der Branntwein 
brennerei griffen Platz, und das „Strecken" begann: stärkeres 
Ausmahlen des Getreides, X-Brot (zunächst mit 10 Prozent 
Kartoffelzusatz) wurde empfohlen. Auch ein Roggenver- 
fütterungsverbot sollte Anfang November in Kraft treten; 
aber die Schweine, für die im September sogar noch örtliche 
Abschlachtungsverbote ergangen waren, wurden weiter fett 
und nahmen bis Dezember um einige runde Millionen 
Stück bei kräftig steigenden Preisen zu. 
Im Dezember erkannten die verantwortlichen Volks 
wirte die Bedenklichkeit dieser Entwicklung; gleichzeitig begann 
eine in großen Umrissen vorgenommene Zusammenstellung 
der wichtigsten Tatsachen und Zahlen der Volksernährung, 
der Viehzucht und der Bodenbestellung durch Professor 
Eltzbacher und 16 Fachleute in der Öffentlichkeit die Erkennt 
nis zu zeitigen, daß wir nicht weiter ins Blaue hinein 
genießen und wirtschaften können, wenn wir nicht eines 
Tages vor leeren Schüsseln und Trögen stehen wollen. 
Freilich die ganz überwiegende Mehrheit des deutschen 
Volkes gab sich der Feiertagsschlemmerei am Jahresende 
noch mit sorglosem Behagen hin. In den Regierungs 
kreisen glaubte man, die rasche Aufzehrung des Brot 
getreides durch Preissteigerungen hemmen zu können, die 
zur Sparsamkeit erziehen und die Landwirte zum Verkauf 
des Getreides statt zur Verfütterung bestimmen sollten, kam 
aber glücklicherweise von diesem unzweckmäßigen Gedanken 
noch in letzter Stunde ab und entschied sich unter dem Ein 
fluß militärisch-sozialer Strömungen, die den Weg ins 
Große Hauptquartier gefunden hatten, zu der Beschlag 
nahme und gemeindlichen Verteilung des Brotgetreides in 
der weltberühmten Bekanntmachung vom 25. Januar 1916. 
Bisher waren alle Verbrauchbeschränkungs- und Spar 
samkeitsmaßnahmen der Regierungen von der Mehrheit 
der Bevölkerung sofort mit stürmischen Lebensmittel 
aufkäufen oder schlauen Umgehungsversuchen beantwortet 
worden, ja viele deutsche Hausfrauen setzten ihre besondere 
Ehre darein, der bösen Regierung zum Trotz doch ihren 
Haushalt auf derselben Höhe fortzusetzen und ihren An 
gehörigen nichts abgehen zu lassen. Der kurzsichtige privat 
wirtschaftliche Egoismus, der noch nicht denken gelernt hat, 
daß jede Einzelhandlung eines Haushalts, jede Verschwen 
dung eines Gramms Fett, einer Handvoll Mehl, einer Kar 
toffel mit 67 Millionen, der Kopfzahl des ganzen Volkes, 
oder doch mit 147 a Millionen, der Anzahl der deutschen 
Haushaltungen, vervielfältigt werden muß, um ihre Wir 
kung zu erfassen, überwog vor der Beschlagnahmepolitik 
das volkswirtschaftliche Verantwortlichkeitsgefühl, das die 
Voraussetzung des Durchhaltens ist. Denn es nützt dem 
einzelnen schließlich gar nichts, auf einen vollen Speicher 
von Lebensmitteln zu pochen, wenn neben ihm Tausende 
dem Nichts gegenüberstehen; es nützt dem Reichen das 
Bewußtsein nichts: „du kannst dir immer noch mit deinem 
Gelde auch in Notzeiten das Erforderliche kaufen", wenn 
rings die ärmeren Schichten des Volkes zu hungern an 
fangen. 
Der Krieg schafft statt dem Nebeneinander zahlloser 
Privatwirtschaften, die sich nicht umeinander kümmern zu 
müssen glauben, eine Wirtschaftsgemeinschaft des ganzen 
Volkes, in der keine Klasse zugunsten einer anderen vernach 
lässigt werden darf, weil sonst die Gesamtheit zu kränkeln 
und in ihrer kriegerischen Widerstandsfähigkeit gegenüber 
den Feinden zu erlahmen anfängt. Nicht nur im Felde, 
sondern auch in der Kriegswirtschaft daheim heißt es: 
„Alle für einen, einer für alle!" 
Das wollte dem hergebrachten privatwirtschaftlichen 
Egoismus lange Zeit nicht in den Sinn. Und auch als 
im Januar die große Aufklärungs- und Erziehungsarbeit 
durch ganz Deutschland begann und namentlich die Haus 
frauen zur Kriegspflicht in Küche und Keller aufrief, half 
das doch nur allmählich bei einer dünnen Schicht. Mit 
Geld sparte man, ja sogar oft in unverständiger Weise, 
indem man sich nützliche Ausgaben, die dem Handwerker 
und Kleinhändler hätten zugute kommen können, versagte 
und in reichen Familien es für ein Kriegsunrecht ansah, 
kostbare Dinge und Genußmittel zu kaufen, auch wenn 
sie mangels Abnehmern beim Kaufmann zu verderben 
drohten. Auf die billigeren, ausgiebigeren Lebensmittel 
aber, die der Massenernährung dienen und wegen der 
Massennachfrage an sich bald knapp werden mußten, 
richtete sich nun noch die Nachfrage der Wohlhabenden mit 
der falschen Sparsamkeit. Daß es auf die Ersparnis an 
Stoffen, an Mengen, nicht auf Ersparnis an Geld und an 
Güte der Eßwaren ankommt, ist selbst heute noch manchen 
Familien nicht beizubringen. 
Wegen dieser mangelnden Einsicht und des starken privaten 
Egoismus war die Beschlagnahme der Mehl- und 
Brotstofse eine volkserziehlich notwendige Maßnahme 
und zugleich eine rettende Tat, da nur auf diese 
Weise die Restvorräte an Roggen einigermaßen wirk 
sam vor dem Schweinetrog gesichert werden konn 
ten. Die Zumessung bestimmter Brotmengen auf den 
Kopf der Bevölkerung machte nun auch dem Kurz 
sichtigsten das Kriegsgebot klar, daß niemand sich auf 
Kosten der anderen allein satt essen darf, sondern daß 
die Vorräte gerecht unter alle verteilt werden müssen, 
wenn es knapp wird. Die Knappheit des Brotes 
aber erweckte gleichzeitig mit einem Male das Ver 
ständnis für die Nutzbarmachung aller übrigen Nähr 
und Eenußmittel, für die Ersatzbeschaffung und die 
sparsamste Verwertung, denn fast alle anderen Le 
bensmittel sind an sich, ganz besonders aber in 
Kriegszeiten, teurer als das Brot und finden des 
halb ohne weitere Mahnung eine sorgsame Behand 
lung. Auch die Kartoffeln, das Gemüse und die 
Magermilch, die in den verschiedenen Kriegskoch 
büchlein auf dem Papier längst einen Oberplatz 
eingenommen hatten, sind nun in der Wirklichkeit 
Zeichen- Erklärung : 
Eisenbahn, =§^=Ch<au5see, „Weg Festung. 
^ «Schlachtfelder von Crouy ,Wegny u.Soissons dmU-14- Jan.1915. 
Maföjtab ; 
5 t* 3 2 1 0 
Km. 
Wegeskizze zürn Barrikadenkampf bei Crouy. (Siehe Sette 310.)
	        
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