Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Zweiter Band. (Zweiter Band)

Dorf H. Es ging immer noch lebhaft vor 
wärts. Ein unheimliches Surren tönte 
und brauste um die Köpfe. Feindliche Ge 
schosse. „Psst! Psii——t!“ „Alles Hin 
legen. Gruppenweise !“ Der Befehl 
erstarb unserem Major auf den Lippen. 
Ein Dumdumgeschoß tötete ihn augen 
blicklich. Neben mir fuhr ein bärtiger 
Landwehrmann in die Höhe. Der Ober 
arm war ihm von einem Dumdumgeschoß 
zerrissen worden. 
Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, es 
regnete Geschosse. Vor uns lag ein 
kleines Wäldchen, dessen Saum stark 
vom Feinde — Indern — besetzt war. 
Unaufhörlich ertönte das „Kekekack" ihrer 
Maschinengewehre. Unter stetigem Feuern 
arbeiteten wir uns auf etwa 60 Meter 
an den Gegner heran. Das feindliche 
Feuer war fast unerträglich. 
„Schützenschnellfeuer auf das Maschi 
nengewehr rechts!" schrie der Haupt 
mann. Man verstand das eigene Wort 
nicht mehr. Nach kürzester Zeit ver 
stummte der Gegner. Sofort stürmten 
wir mit „Hurra" die Stellung des Fein 
des. Er hatte sich tapfer gewehrt: um 
eines der erbeuteten Maschinengewehre 
lagen allein vierzehn Tote. 
Nachdem unsere zwei Kompanien ein 
Stück in einem schmutzigen Straßengraben 
vorgekrochen waren, machten sie eine 
kleine Rechtsschwenkung. Ziel war das 
stark vom Feinde besetzte Dorf H., das 
auf einer schwachen Bodenwelle lag. Un 
sere schwere Artillerie hatte vorzüglich 
gearbeitet. Das Dorf H. brannte bereits 
an vielen Stellen. Endlich kamen wir 
an einen Bach, dessen Bett wie zur 
Verteidigung geschaffen war. Der die 
Zugangstraße zum Dorfe H. beherr 
schende feindliche Schützengraben wurde 
heftig von uns beschossen. 
Unter einem auf die Spitze getriebe 
nen Schrapnell- und Jnfanteriefeuer ar 
beiteten wir uns gruppenweise auf etwa 
50 Meter an die feindliche Stellung 
heran. 
Bei diesem Vorgehen verloren wir 
sämtliche Führer unseres Bataillons, 
außer einem Leutnant und einem Vize- 
feldwebel. Unter dem heftigen, gestaf 
felten gegnerischen Feuer konnten wir 
keine Minute liegen bleiben. Und wir 
erstürmten, der Leutnant voran, mit echt 
bayrischem Hurra und mit einer bis zur 
Tollheit gesteigerten Wut den feindlichen 
Schützengraben. 
Wir lagen jetzt unmittelbar vor dem 
Dorfe H. Mittlerweile war auch das erste 
Bataillon in die Schützenlinie eingerückt. 
So konnten wir den Sturm wagen. Jedes 
Die Hitze war 
Haus war eine Festung .. . 
unerträglich, weil es an allen Ecken flammte. In die 
hinteren Straßenzüge feuerte unsere Artillerie Salve auf 
Salve. Mit ungefähr acht Kameraden stürzte ich auf ein 
Haus zu, aus bessert zweitem Stockwerk heftig gefeuert 
wurde. Wie wir durch den Geschoßhagel durchkamen, 
wußten wir nicht. Die unteren Zimmer waren leer. 
Der Versuch, die Treppe hinaufzudringen, kostete uns 
einen Kameraden. Rasch stellten wir uns in dem größten 
Zimmer in den Ecken und unter dem breiten Kamin auf 
und sandten Salve über Salve durch die dünne Zimmer 
decke in das zweite Stockwerk. Da ging ein Poltern und 
Rennen los da oben — dann war es still. Vorsichtig 
drangen wir hinauf, fanden aber nur drei tote Inder. 
Dagegen fanden wir im Hofe acht Feinde, die zum Fenster 
hinausgesprungen und von unseren Kameraden gebührend 
empfangen worden waren. — Der Kampf um das Dorf 
H. war zu unseren Gunsten entschieden. 
Die Tat 
einer Honvedsatrouille. 
Nach einer Originalzeichnung von 
A. Reich, Wien. 
bewohnern ans Herz gelegt worden sei, auf das Grab zu 
achten, denn es liege ein großer Herr darin, und die Be 
wohner würden viel Geld erhalten, wenn das Grab un 
berührt bleibe. Auf die Frage des Offiziers, wer dieser 
große Herr sein wöge, antwortete der Lehrer, daß es Groß 
fürst Diwitriew Nikolajewitsch, ein Neffe des Zaren, sei. 
Gegen die Inder. 
Bei Dunkelheit überschritten wir auf schwankender 
Brücke den Pserkanal. Es regnete leise, und der zähe 
Lehwbrei quietschte unter den Füßen. Hinter ödem, zer 
schossenem Mauerwerk verbrachten wir eine dumpfe Nacht. 
Ein heftiges, äußerst wuchtiges Feuer unserer Artillerie, 
das am frühesten Morgen einsetzte, brachte uns rasch auf 
die Füße. ^ Die siebente und achte Kompanie lösten sich 
rasch in eine Schützenlinie auf. Hinter uns die Ver 
stärkungen. So lagen wir am Rande der weiten Rüben 
felder und harrten ungeduldig des Vorgehens. Wir waren 
bayrische Freiwillige. Das Artilleriefeuer steigerte sich zu 
ungemeiner Heftigkeit, da auch die feindlichen Geschütze 
wuchtig eingriffen. Hoch über uns kreisten zwei feindliche 
Flieger. Da, ein Haufen Feuer und Blitze, ein Zittern des 
Bodens, schwefelgelbe und dunkelgraue Rauchschwaden, 
eine heftige Lufterschütterung, die uns für Sekunden den 
Atem nahm, das angstvolle Wiehern eines Pferdes — 
20 Meter hinter uns, auf der Straße, hatte eine Granate 
größten Kalibers eingeschlagen und zwei Pferde getötet. 
Noch ehe wir uns von unserem Schrecken und Staunen 
erholt hatten, kam schon das Kommando: „Marsch, marsch, 
vorwärts!" 
In langer Schützenlinie ging es über die Rübenfelder. 
Richtungspunkt war eine Scheune. Gerade vor uns lag 
das bekannte Schloß H., rechts unmittelbar daneben das 
Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. 
Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. 
fluß Rußlands zu erklären. Es tritt 
ein seelisches Moment hinzu. Wenn der 
Chinese unempfindlich ist gegen körper 
liche Schmerzen, so ist es der Russe 
gegen seelische. Erlittene Niederlagen 
üben auf die Soldaten keinen mora 
lischen Eindruck aus. Ihre Masse gleicht 
einer Molluske, die man durchbohren 
kann, ohne sie zu töten. Diese Erschei 
nung machte sich schon im japanischen 
Kriege 1904/05 geltend. Nach den ver 
nichtendsten Schlügen am Schaho, bei 
Mukden usw. erholte sich die russische 
Armee, sobald sie Verstärkungen erhielt, 
verhältnismäßig sehr schnell. Diese Ge 
mütseigenschaft erklärt es auch, daß auf 
den östlichen Kriegschauplätzen die Ver 
bündeten sich plötzlich neuen, schweren 
Aufgaben gegenüber befinden, wenn sie 
durch wirkliche Siege sich schon am Ende 
eines großen kriegerischen Abschnittes ge 
glaubt hatten. Der Sturm auf Prasznysz 
am 24. Februar bleibt aber eine Waffen 
tat ersten Ranges. Treulich beigetragen 
zum Erfolg hat das 2. Leibhusarenregi 
ment. ' Die Tätigkeit der Kavallerie hat 
in diesem Kriege ja ein Doppelgesicht. 
Lanze und Karabiner beherrschen ab 
wechselnd die Stunde. Bei der Ver 
folgung nach der Winterschlacht in Ma 
suren kam die Lanze zu voller Geltung. 
Die Kavallerie nahm den Russen auch 
eine große Anzahl von Munitionskolon 
nen ab — ein Verlust, der diesen beson 
ders schmerzlich war. 
Die Tat 
einer Honvedpatrouille. 
iHierzu das nebenstehende Bild.) 
Bei Jaslova blieb der Korporal Cseh 
mit dreien seiner Leute zufällig hinter 
seinem Regiment zurück. Die Soldaten 
sahen mit Entschlossenheit ihrem sicheren 
Tode entgegen. „Wenn wir schon sterben 
müssen," sagte der Korporal zu seinen 
Gefährten, „dann unternehmen wir zum 
Schluß etwas Großes." 
Die Honvede erklommen eine Höhe, 
von der aus sie die ganze Gegend über 
sehen konnten. Auf der Landstraße nahte 
ahnungslos die russische Armee. Vorn 
ritt eine große Abteilung Kosaken. Auf 
die Frage des einen Honved antwortete 
der Korporal, daß man erst schießen 
möge, wenn er es sagen werde. Rach 
den Kosaken kamen einige tausend Ulanen. 
Die Honvede mußten noch eine halbe 
Stunde lang ihre Erwartung nieder 
kämpfen. Der vordere Teil der auf 
der Landstraße dahinziehenden russischen 
Infanterie war schon nicht mehr zu sehen, 
und die Honvede konnten noch immer nicht vollbringen, 
was sie sich als Ziel gesteckt hatten. 
Plötzlich sah der Korporal zwischen den Truppen ein 
Automobil in langsamster Fahrt nahen. Einige Augenblicke 
später erhob sich aus dem Automobil ein auffallend großer 
Mann. „Ein General!" rief der Korporal. „Langsam zielen!" 
Drei Schüsse ertönten gleichzeitig, und der General fiel 
lautlos aus dem Wagen, worauf die Russen nach kurzem 
Kampf das Weite suchten. 
Einige Wochen später kam das Regiment beim allge 
meinen Vorrücken wieder an dieselbe Stelle. Die Offiziere 
gingen sofort daran, sich von der Wahrheit der Erzählung 
des tapferen Korporals zu überzeugen. Auf ihre Fragen 
bei den Einwohnern des nächsten Ortes wurden die Offiziere 
auf den Friedhof zu einem frisch geschaufelten Grabe ge 
führt, von dessen Holzkreuz sie eine russische Aufschrift ab 
lasen. Der Lehrer sagte den Offizieren, daß es den Dorf-
	        
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