Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Zweiter Band. (Zweiter Band)

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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. 
Häuser, Gehöfte, 
Güter, Dörfer, 
ganze Gemeinden 
in Schutt und 
Asche gelegt. Über 
all Schrecken und 
Grauen. 
Scharen um 
Scharen ländlicher 
Flüchtlinge ström 
ten nach der Stadt, 
um ihr^ Allernot 
wendigstes, uin ihr 
Leben in Sicher 
heit zu bringen. 
Doch wie war es 
da mit ihrer Sicher 
heit und Versor 
gung bestellt? Un- 
sererStadtbehörde, 
die sich um all 
die Flüchtlinge be 
mühte und zu bemühen bestrebte, blieb nicht die Zeit, um 
den Jammer und das Elend der Flüchtlinge zu stillen. 
Donnerstag abend — es mag zwischen sechs und sieben 
Uhr gewesen sein — drangen die ersten Russen in die Stadt 
ein. Beide Brücken, die Börsen- sowohl als auch die Karls 
brücke, waren am Abend von russischen Posten besetzt, die 
kaum jemand durchließen. Wer in ihre Nähe kam, wurde 
angerufen, durchsucht und zurückgeschickt. Vor dem Kaiser- 
Wilhelm-Denkmal auf dem Aleranderplatz hatte sich ein 
russischer Haufe gesammelt. Trompetensignale waren zu 
hören, ebenso Gesang und Hurrarufen. Blutigrot war 
der Himmel, der über Memel sich spannte. In den Straßen 
irrten Männer, Frauen, Kinder umher. Von Angst und 
Verzweiflung getrieben, wollten sie ihr Leben in Sicherheit 
bringen. Es war zu spät, schon waren die Russen in der 
Stadt. Da half nur Besonnenheit, und wer besonnen 
war, begab sich nach Hause. Und all die Flüchtlinge, die 
Heimatlosen, sie mußten suchen, irgendwo unterzukommen. 
Unsere Verteidiger zogen sich nach der Holzstraße zurück, 
um vom Hafenbauamt auf die Nehrung überzusetzen. 
Oberstleutnant Conradi leitete den Rückzug, und seiner 
Fürsorge ist es zu danken, daß etwa 1000 Zivilpersonen 
ebenfalls von dort auf die Nehrung in Sicherheit gelangten. 
Durch Maschinengewehre, die in der Holzstraße vor dem 
Hafenbauamt aufgestellt waren, wurde der Rückzug gedeckt. 
Sonnig und kalt war der Freitagmorgen. Am Ballast- 
platz sah man noch Kähne mit Flüchtlingen nach der Nehrung 
hinüberfahren. Ein unheimliches Gefühl beschlich jeden, 
der, in der Stadt verblieben, sich auf die Straßen hinaus 
wagte. beim Anblick der russischen Raubpatrouillen. Fast 
sämtliche Schau 
fensterscheiben in 
der Libauer Straße 
wurden am Frei 
tagmorgen einge 
schlagen, soweit es 
nicht schon vorher 
geschehen war. Im 
späteren Verlauf 
des Tages und an 
den nächsten bei 
den Tagen folgten 
sehr viele in den 
anderen Straßen. 
Hauptsächlich hat 
ten es jedoch die 
RussenaufdieDeli- 
kateßwaren-, Kolo 
nialwaren-, Kon 
fitüren- , Uhren-, 
Schuh- und Zigar 
rengeschäfte abge 
sehen, die sie auf russische Weise ausplünderten. Richt ge 
nug mit dem Plündern und Rauben in Geschäftsläden, 
drangen Patrouillen selbst in viele Privathäuser ein, wo 
sie teils nach Militärpflichtigen fahndeten, teils —- und das 
mag am häufigsten geschehen sein — plünderten. Richt 
unerwähnt soll bleiben, daß sich unter dieser Räuberhorde 
auch anständige Soldaten befanden, die verschiedene Dinge 
bezahlten und höflich die Hand beim Eintreten und Weg 
gehen gaben. Die Straßen waren fast menschenleer bis 
auf die Libauer Straße, die sowohl von Russen als auch 
von Zivilpersonen belebt war. 
Das unwirtliche Wetter am Sonnabend schreckte selbst 
die Mutigeren ab, sich auf die Straße zu begeben. Wer 
nicht, vom Hunger getrieben, sich nach Lebensmitteln um 
zusehen brauchte, blieb zu Hause. An diesem Tage war 
auch kaum jemand von den Russen zu sehen. Erst am Abend 
wurde es lebhafter. Ab und zu wurden Schüsse in der 
Libauer und Polangen-Straße abgefeuert. Man konnte es 
den Russen ansehen, daß sie sich in Memel nicht recht sicher 
fühlten. Größere Trupps russischen Militärs zogen vor 
nehmlich während der Dunkelheit in die Stadt ein, um sie 
im Dunkeln auch wieder zu verlassen, so daß man nicht 
weiß, in welcher Anzahl sie in unserer Stadt geweilt haben. 
Die Vorboten der nahenden Befreiung waren am Sonn 
tag vormittag eine Dragoner- und eine Jnfanteriepatrouille, 
die mitteilten, daß am Abend unsere Truppen hier sein 
würden. Am Vormittag war auch nur selten ein Russe 
in der Stadt zu sehen. Erst mittags ritt eine kleinere An 
zahl die Libauer Straße hinauf und herab. Vereinzelte 
Gewehrschüsse ließen auf die Nähe unserer Soldaten 
Bhot. A. Grohs, Berlin. 
Das Leibhufarenregiment mit Rittmeister v. Kleist an der Spiße auf dem Wege nach Prasznysz.
	        
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