Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Zweiter Band. (Zweiter Band)

Scarborough: Südansicht der Befestigungen. 
Phot. Berliner Illustrations-Gesellschaft m. v. «y 
mußten wir einen ganzen Tag vor dem Bahnhof liegen, 
weil Truppen-und Munitionstransporte vorgelassen wurden. 
Endlich durften wir einfahren; es lagen dort schon über 
zweihundert Schwerverwundete, die wir in drei Stunden 
eingeladen hatten. Während der vierzigstündigen Rückfahrt 
hatten imsere Arzte tüchtig zu tun. Auch wir hatten keine 
Stunde der Ruhe. Die Verbände mußten erneuert, 
schmerzstillende Einspritzungen gemacht, Fiebertemperaturen 
gemessen werden. 
AIs wir in Nürnberg eintrafen, war die Sanitätskolonne 
mit ihren Autos und mehreren Ärzten bereits am Platze, 
und sofort wurde die Überführung in die einzelnen Laza 
rette vorgenommen. In einigen Stunden war dies ge 
schehen, und wir durften uns der wohlverdienten Ruhe hin 
geben. 
Nachdem die Wagen desinfiziert, gereinigt, die Betten 
frisch überzogen, der Proviant ergänzt war, fuhren wir 
zum zweitenmal nach Diedenhofen. Tags vorher hatte 
dort ein heißes Gefecht stattgefunden, das viele deutliche 
Spüren hinterlassen hatte. Wir begaben uns in Gruppen 
aufs Schlachtfeld und taten unsere Arbeit. 
Dann ging es nach Valenciennes und weiter bis an die 
Gefechtslinie. Hier lagen das Geleise entlang schon viele 
hundert Schwerverwundete, sehnsüchtig des Zuges harrend, 
Herbesthal. Unmittelbar hinter Herbesthal zeigten sich 
schon die Spuren der verflossenen Kämpfe. Alle Jn- 
dustrietätigkeit hatte aufgehört, und die Fabriken standen 
still. Rur einige Kohlen- und Eisenwerke waren noch in 
Tätigkeit. 
Durch zahlreiche Tunnel, von denen der längste eine 
halbe Stunde Fahrzeit beanspruchte, kamen wir endlich 
nach Lüttich. Dann erreichten wir Brüssel, wo wenig 
von Verwüstungen zu bemerken war. Schon ging das 
Großstadtleben wieder seinen alten Gang; für den Abend 
unseres Ankunfttages war sogar ein Konzert in der Ton 
halle angesetzt. Wir konnten uns nicht aufhalten, und so 
fuhren wir weiter. In der Nacht wurden wir vier 
mal durch das Notzeichen der Lokomotive aufgerufen, 
weil verschiedentlich Gefahr drohte: einmal war es ein 
Schienenbruch, einmal falsche Weichenstellung (es hätte 
leicht einen Zusammenstoß mit einem Mnnitionstransport 
geben können), einmal ein Sperrsignal, einnml ein fran 
zösischer Flieger, der das Geleise durch Bombenabwurf zu 
zerstören suchte. Wir traten jedesmal mit Gewehren an 
— auch das Bremspersonal hatte solche — und eröffneten 
ein von den Bahnschutzwachen kräftig unterstütztes Feuer 
auf den Flieger, so daß dieser eiligst in den Wolken ver 
schwand. Früh sieben Uhr erreichten wir wieder Mons. 
Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. 
Dann folgt der Materialwagen mit Decken, Kissen, Wäsche 
sowie der Proviantwagen. Der sich anschließende Küchen 
wagen ist ein wahres Prachtstück. Er enthält unter anderem 
vier Kessel zu je hundert Liter zum Kochen von Gemüse 
und Kartoffeln, zwei Kessel für Fleisch, einen Bratofen 
für zwei große Bratenpfannen; alles mit Kohlenfeue 
rung. Hinter dem Küchenwagen läuft der Heizungsvorrats 
wagen, der auf der einen Seite Kohlen für die Küche, 
auf der anderen Seite Koks für die Dauerbrandöfen enthält, 
deren jeder Wagen einen führt. Dann kommt der Wohn- und 
Schlafwagen für das Küchenpersonal, den Wagenmeister 
und den Schlosser. 
Nun folgen zehn weitere Krankenwagen, dann der Schlaf 
wagen für die Krankenwärter mit zwanzig Betten (so weit 
sind es ohne die Lokomotive achtundzwanzig Wagen) und 
hierauf je nach Bedarf die Güter- und die Personenwagen 
für Leichtverwundete. Sämtliche Wagen sind durchgehend, 
durch Füllöfen heizbar, mit Gas- und Notbeleuchtung ver 
sehen. Zum Schluß werden meistens noch Güterwagen mit 
Liebesgaben und Feldpostpaketen angehängt. — 
Unsere erste Reise führte nach Diedenhofen. Hier 
der' sie wegführen sollte. In zwei Stunden hatten wir 
den Zug besetzt und traten den Rückweg an. Nie werd« 
ich die sehnsuchtsvollen, wohl auch von Tränen getrübten 
Blicke vergessen, die die Zurückgelassenen auf ihre nun ge 
borgenen Kameraden warfen. Wir trösteten jene mit der 
Aussicht auf unser baldiges Wiederkommen. 
Eine dritte Fahrt führte uns zunächst nach Audun le 
Roman und weiter in der Richtung nach Longwy. Die ganze 
Bahnstrecke entlang bot sich ein Bild der Zerstörung. 
Von Longwy, das völlig zusammengeschossen und dem 
Erdboden gleichgemacht war, wurden wir nach Montmody 
befohlen, um die Verwundeten aus den im Gange befind 
lichen Schlachten aufzunehmen. Hier trafen wir die schwersten 
Verwundungen, die wir bis jetzt gehabt hatten. Hauptsäch 
lich Schußwunden, aber auch schwere Verbrennungen durch 
siedendes Ol und dergleichen. In zwei Stunden war ein 
geladen, und fort ging's in schnellstem Tempo nach Koblenz, 
wo wir einen Teil der Verwundeten abgaben, während 
der Rest nach Nürnberg gebracht wurde. 
Nachdem dort unsere Wagen von neuem instand ge 
setzt worden waren, ging es nach Köln und von da nach
	        
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