Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15.
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Stellen Gelegenheit zum „Angriff mit Umfassung". Für
den Taktiker gibt es kein fesselnderes Studiunr als der
artige Waffentaten, wie sie die Erstürmung des Hartmanns
weiler Kopfes und des Hirzensteins in den Vogesen waren.
Mit vollem Recht nennt man beide Orte zusammen,
denn die beiden Gefechte wurden zwar mit zwei Tagen
Zeitunterschied und auf Berghängen geführt, die eine
tiefeingeschnittene Schlucht voneinander trennt, aber beiden
liegt ein einheitlicher, trefflich ausgedachter und tapfer durch
geführter Plan zugrunde.
Die Lage war am 18. Januar die folgende: Französische
Infanterie, größtenteils Alpenjäger, hielten in stark „be
festigter Feldstellung" Höhe 956, genannt Hartmannsweiler
Kopf, und Höhe 570, genannt Hirzenstein, besetzt (siehe
Skizze Seite 204). Starke französische Jnfanteriereserven
östlich Höhe 1125, dem Molkenrain. Feindliche Gebirgs
artillerie in verdeckter Stellung bei Kohlschlag. — Der Ent
schluß zum Angriff gründete sich hauptsächlich auf den Ge
danken, daß hier
nicht nur Gelände
gewonnen werden
könne, sondern daß
inandadurch gleich
zeitig näher an die
einzige gute fran
zösische Zufahrt
straße Thann—
St.-Amarin kom
me (s. Ubersichts
skizze Seite 204).
Dem Angriff
ging eine einge
hende Erkundung
und Aufklärung
voraus. Zumeist
wurde sie durch Jn-
fanterieoffizierpa-
trouillen bewirkt,
die sich in der
Dunkelheit an die
feindlichen Stel
lungen heranpirsch
ten, Anmarschwege
festlegten, Gassen
in die Drahtgeflech
te schnitten und
die genaue gegne
rische Stärke fest
stellten. Aus den
einlaufenden Mel
dungen ergab sich,
daß das Gelände
für einen Angriff
nicht gerade günstig
war, denn die Ber
ge waren von be
trächtlicher Höhe,
in den gegnerischen Hindernissen und Stellungen schaffte.
Auch die Sicherungstruppen waren währenddessen nicht zur
Untätigkeit verdammt. Sie hatten schon am Nachmittag
kleinere feindliche Angriffe mit leichter Mühe abgewiesen,
woran sich ein mit mehreren Bataillonen geführter fran
zösischer Nachtangriff anschloß, der an der Jägertanne von
mehreren Kompanien und einer Ulaneneskadron abgewiesen
werden konnte. Am nächsten Morgen wurden die Ver
teidiger des Hartmannsweiler Kopfes noch enger ein
geschlossen, wobei deutsche Unterstützungen die Lücken des
vorangegangenen Gefechtes auffüllten, während dem Gegner
durch das Standhalten der Deckungstruppen die Gelegenheit,
seine Verluste zu ersetzen, genommen war. Deshalb er
gab sich die Besatzung kurz vor dem letzten Sturmanlauf.
Am 20. wurde nach einer Umgruppierung der deutschen
Streitkräfte der Hirzenstein angegriffen, während schwächere
Kräfte das eroberte Gelände beim Hartmannsweiler Kopf
festhielten und Deckungstruppen am Rehfelsen und Sand-
Wirkung des deutschen Jnfanteriegeschosses auf den Schutzschild eines französischen Geschützes.
Dieses Bild zeigt einen Teil eines erbeuteten französischen Geschützes, das in Saarbrücken aufgestellt ist. Welche Durchschlags
kraft unser Jnfanteriegeschoß hat, ergibt sich daraus, daß die 1 cm dicke Slahlplatte des französischen Schutzschildes an zahlreichen
Stellen glatt durchschlagen ist. Sogar der 15 mm starke Mantel des Geschützrohres ist bis auf den Lauf zerrissen.
teilweise sehr steil ansteigend und durch Felsgeröll und
Eis noch ungangbarer geworden. Drahtgeflechte und Ast-
verhaue mit Stacheldraht bildeten wirksame Hindernisse
vor der feindlichen Front. Auch die gegnerischen Streit
kräfte waren stark genug, um ein gleichzeitiges Stürmen
beider Höhen wahrscheinlich verhindern zu können. Es
galt also, an einer Stelle mit schwächeren Kräften hin
haltend zu fechten, um hier den Gegner zu „beschäftigen",
während an anderer Stelle die Hauptkräfte zum Angriff
schritten. Die erstere Stelle war zunächst der Hirzenstein,
letztere der Hartmannsweiler Kopf.
Der Angriff war auf den 18. Januar vier Uhr nachmittags
angesetzt, während schon seit halb zwölf Uhr vormittags
Deckungstruppen bei der Jägertanne standen, mit dem
Auftrag, etwaige gegnerische Vorstöße zur Entsetzung des
Hartmannsweiler Kopfes abzuweisen, sowie gegen den
Hirzenstein zu sichern. AIs die beiderseitige Umfassung des
Hartmannsweiler Kopfes geglückt war, begann der all
gemeine Angriff durch Mecklenburger Jäger, deren Reihen
man jedoch bald wegen des wirksamen feindlichen Feuers
und des ungünstigen Geländes durch Württemberger rmd
Holsteiner verstärken mußte, bis in der Nacht eine Minen
werferabteilung durch ihre furchtbare Tätigkeit etwas Luft
II. Band.
grubenkopf unerwünschte feindliche Einmischungen abhalten
sollten. Um acht Uhr vormittags wurde der Hirzenstein von
der schweren deutschen Artillerie bis achteinhalb Uhr vor
mittags unter Feuer genommen, um die Feldbefestigungen
sturmreif zu machen. Ms die Batterien ihr Feuer dann
weiter feindwärts verlegten, um Verstärkungen vom
Molkenrain her abzuhalten, arbeiteten unsere Minenwerfer
bis neuneinhalb Uhr vormittags, worauf die Rheinländer
zum Sturm antraten, der sie nach gewandter Überwindung
der fast ganz zusammengeschossenen Hindernisse und einem
erbitterten Nahkampf, trotz der Steilhänge, in zwanzig
Minuten zu siegreichen Besitzern des Hirzensteins machte.
Die Bedeutung dieses Doppelerfolges wurde schon ein
gangsgewürdigt. In treuer Waffenbrüderschaft haben Würt
temberger, Mecklenburger, Holsteiner, Rheinländer und Han
seaten ein Stück des großen Vaterlandes vom Feinde befreit.
Im Doppeldecker über Verdun.
Von Rittmeister a. D. F. Grotzmann.
(Hierzu ras Bild Seile 218j219.)
Der jetzige Weltkrieg brachte erstmalig die Verwendung
und Erprobung der Flugfahrzeuge in militärischer Be-
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