Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Zweiter Band. (Zweiter Band)

Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. 
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einen zweiten Sturm," befiehlt er und fährt fort: „Ich 
nehme die linke Hälfte des Ortes, einschließlich der Haupt 
straße. Sie nehmen die rechte Hälfte, bis zum Ortsrand." 
Ich war nämlich der einzige anwesende Offizier. Gut, wir 
sau,mein unsere Leute. Keiner bleibt zurück; alles geht mit 
frischem Mute wieder vor. Im Vorrücken erhalten wir von 
rechts und links noch Zuzug von Leuten, die froh waren, 
Führung und Befehl zu haben. Wir schießen und springen, 
arbeiten uns so vor und kommen tatsächlich wiederum bis 
zu den letzten Häusern am Ostausgang. Auffallend war 
mir, daß bei diesem zweiten Sturm der Gegner verhält 
nismäßig wenig Widerstand leistete. Die Maschinengewehre, 
die uns vorher so bedroht hatten, waren verschwunden. 
Ich nahm an, daß unsere Artillerie sie erwischt habe. 
Doch wir sollten uns bitter getäuscht haben. Der Gegner 
hatte uns in eine Falle gelockt. Während wir das zweitemal 
vorgingen und er scheinbar zurückwich, hatte sich der größte 
Teil der Engländer in die Häuser hineingeschlichen. Auch 
jene Maschinengewehre waren auf die Häuser verteilt 
worden, und nun, da wir wieder im Orte drinnen oder 
schon beinahe durch den Ort durch waren, begann aus den 
Häusern heraus ein mörderisches Feuer auf uns. Wir selbst 
schon stürzte das Blut heraus. „Dumdum" war mein erster 
Gedanke, und leider sollte ich mich nicht getäuscht haben. 
Fast im gleichen Augenblick sehe ich, daß die Leute rechts 
von mir aufstehen. „Was gibt's?" rufe ich und erhalte zur 
Antwort: „Regiment sammelt hundertfünfzig Meter außer 
halb der Ortschaft." Das war auch nach meiner Meinung 
die beste Anordnung, die getroffen werden konnte. In der 
Ortschaft waren wir fast wehrlos und das Opfer der aus 
den Häusern herausschießenden Gegner. Bezogen wir 
außerhalb des Ortes eine Ausnahmestellung, so konnte er 
uns nichts mehr anhaben. Die Leute rechts von mir waren 
schon zurückgesprungen, und zwar wiederum in den Wald 
hinein, der uns bereits einmal Deckung geboten hatte. Da 
mals hatten die Maschinengewehre aus dem Walde herauf 
gefeuert; jetzt bedrohten sie uns aus den Häusern oben und 
feuerten herunter. Ich rief den sieben Leuten, die noch 
links von mir lagen, den Regimentsbefehl zu. Ob sie mit 
gekommen sind und so gerettet wurden, weiß ich nicht. Ich 
selbst sprang hinab in den Wald; das Maschinengewehr oben 
feuerte nach, traf aber nichts. 
Hinter der Friedhofmauer, außerhalb der Ortschaft, 
sammelte der Oberst das Regiment. Major W., Ober- 
Phot. A. Grohs, Berlin. 
Die Wirkung einer deutschen Fliegerbombe: Zerstörtes Haus in Stenay. 
konnten fast gar nicht schießen, da wir nur die Gewehrläufe 
aus den Fenstern und Dachluken herausschauen sahen. Es 
war das reine Morden. 
Ich hatte noch etwa fünfundzwanzig Mann bei mir. 
Uns gegenüber auf der jenseitigen Höhe lagen englische 
Schützen. Links feuerte ein Maschinengewehr auf uns 
herab, traf aber wenig, weil eine Hecke ihm das Zielen er 
schwerte. Der ihm zunächstliegende und am meisten ge 
fährdete Vizefeldwebel R. hatte einen glücklichen Gedanken. 
Er sprang mit seinen Leuten einfach auf das Haus zu, aus 
dem das Maschinengewehr schoß; sie stellten sich an die 
Wand, und das Maschinengewehr konnte ihnen nichts mehr 
anhaben. Uns anderen, die wir draußen vor der Hecke 
lagen, blieb nichts übrig, als zu feuern, bis wir selbst ge 
troffen wurden oder die letzte Patrone verschossen hatten. 
Das rief ich meinen Leuten zu. Der Mann links von mir 
sah in der Aufregung keinen Gegner. „Herr Hauptmann, 
wo sind die Engländer eigentlich?" Ich nehme mein Glas 
zur Hand, sehe durch die Hecke und rufe ihm zu: „Rechts 
vom Eartenhäuschen! Schnellfeuer!" Diese Benutzung des 
Glases sollte mir verhängnisvoll werden. Eine Kugel 
schmetterte es mir aus der Hand. Der Schlag war so stark, 
daß ich, auf dem Bauche liegend, links herumgedreht wurde. 
Der wenig militärische Ausruf „Auweh!" entfuhr mir, und 
leutnant E., der Offizierstellvertreter meiner Kompanie 
und ich halfen ihm, dem man keine Aufregung ansah. Wir 
brachten etwa zwei Kompanien zusammen, die in einem 
Rübenfelde eine Aufnahmestellung bezogen. Dann er 
suchte mich der Oberst, so rasch wie möglich Artillerie zu 
suchen und diese zu bitten, das nunmehr von den deutschen 
Truppen freie Dorf zusammenzuschießen. Es war dies 
sicherlich die einzige Art, wie man nach Lage der Sache dem 
Gegner beikommen konnte. Liebenswürdig und rücksichts 
voll wie immer, fügte er bei: „Sie sind zwar selbst ver 
wundet, aber wenn es einigermaßen geht, tun Sie mir 
diesen Dienst noch." Ich stürzte davon, allen Verwundeten, 
die zum Verbandplatz eilten, voraus, auf die nächste Höhe, 
wo ich Artillerie vermutete. Dort stand keine, also weiter. 
Endlich sehe ich hinter einem Strohhaufen einzelne Offiziere. 
Richtig, es sind Artilleristen. Atemlos trage ich ihnen meine 
Bitte vor. Ihr Kommandeur ist gerne bereit, uns zu helfen. 
Ich erkläre ihm genau, wo er hinzuschießen hat. Eine 
halbe Minute später fällt der erste Schuß. Inzwischen 
war meine Verletzung, da ich bis jetzt nicht Zeit gefunden 
hatte, mich zu verbinden, immer schlimmer geworden. Die 
Hand war blau aufgelaufen, zwei Finger waren kalt und 
gefühllos. Also zum Truppenverbandplatz, wo schon 
Hunderte von Verwundeten eingetroffen sind. Während
	        
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