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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15.
Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15.
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unter Trommelschlag und Hurrarufen
gegen die Höhe vor, und bald ent
spann sich auf dieser selbst ein mör
derischer Kampf, der sich zum Teil
knapp neben den zum Schweigen ge
brachten russischen Geschützen ab
spielte. Ein ganzes Bataillon wurde
niedergemacht. Ein Stabsoffizier,
vier Subalternoffiziere und an tau
send Mann mußten sich ergeben und
ihre Maschinengewehre ausliefern.
Die Kämpfe um Gorlice zu Be
ginn des neuen Jahres, bei denen
übrigens auch ein russischer Aero-
plan herabgeschossen und erbeutet
wurde, bilden eine neue Ruhmes
tat der tapferen Truppen der Öster
reichisch-Ungarischen Monarchie, ins
besondere der an ihnen beteiligt ge
wesenen Jnfanterieregimenter.
In Luneville.
Bon einem Saarbrücker Geist
lichen, der Lunöville am Tage des
Einzugs der Deutschen besuchte, um
die Leiche eines Saarbrücker gefal
lenen Offiziers zur Bestattung in
seiner Heimat aufzusuchen, erhalten
wir die nachfolgende packende Schil
derung der gewaltigen Eindrücke dieser
Fahrt:
Am Sonntag, den 23. August,
nachmittags um zwei Uhr, zogen die
deutschen Truppen, an ihrer Spitze
die Musik des 97. Infanterieregi
ments, mit klingendem Spiele in die
Stadt Luneville ein, die am Tage
zuvor dem Ansturm unserer Truppen
erlegen war. Wir trafen noch an
demselben Abend im Automobil da
selbst ein. Anfänglich war es, als
wir in die Stadt einfuhren, toten
still in der breiten, völlig dunklen
Hauptstraße, durch die wir fuhren.
Aber nach wenigen Minuten ver
nahmen wir aus ziemlicher Nähe
brausenden Gesang. Wir schlugen
die Richtung der Klänge ein und
hielten nach kurzer Zeit vor der fran
zösischen Dragonerkaserne. Welch
ein wunderbares Bild! Alle Fenster
erleuchtet, die Eingänge der Kaserne
von Wachtposten besetzt, und aus den
eben erst vom Feinde geräumten
Mannschaftsstuben scholl es vielhun
dertstimmig begeistert in die Nacht
hinaus: „Deutschland, Deutschland
über alles!"
Das sangen die Braven, die tags
zuvor dem furchtbaren Geschoßhagel
der französischen Artillerie standge
halten und nun als Sieger über die
Leichen des Feindes hinweg die
Bahn nach Frankreich freigemacht
hatten. — Ich begab mich dann zum
Hotel de l'Halle, wo ich eine Abend
tafel antraf, die mich in über
raschender Weise an Menzelsche Bilder aus der frideri-
zianischen Zeit erinnerte. Auf der Tafel stand eine
Reihe siebenarmiger silberner Leuchter mit brennenden
Kerzen, und in der Runde sowie an kleinen Neben
tischen herrschte die freudige, aber in keiner Weise aus
gelassene Stimmung von Kameraden, die Schulter an
Schulter tagelang in den Schützengräben gelegen, um sich
herum die Granaten einschlagen gehört und furchtlos dem
Tode ins Auge geschaut hatten, denen nun aber der
Stolz des Sieges und die Freude über ihre Unverletztheit
aus Auge und Mienen leuchteten. Dann saßen wir zu
sammen und lauschten in atemloser Spannung, wie die
Hauptleute vom 70. Regiment von den ereignisschweren
Tagen vom 19. bis 23. August erzählten. Wie furcht
bar hat doch die 32. Brigade ausgehalten! Die „eiserne
Brigade", wie sie draußen im Felde schon heißt. Es ist
keine Redensart, sondern buchstäblich wahr, daß diese
beiden Regimenter die Grenze, soweit sie dem Saar
brücker Lande zugekehrt ist, mit ihren Leibern gedeckt
haben. Bei Dieuze hat die 31. Division unter der Führung
des Generalleutnants v. Berrer ein ganzes französisches
Armeekorps geworfen, und wenn nicht die heldenmütige
Tapferkeit dieser Division, insbesondere der 32. Brigade,
rechts und links der Bahnlinie Vergaville—Dieuze, dem
furchtbaren Granatfeuer der unbestritten hervorragend
schießenden französischen Artillerie standhaltend, schließlich
siegreich die feindlichen Heeresmassen über Dieuze bis an
die Grenze zurückgeworfen hätte, wo den entsetzten Fran
zosen dann die bayrischen Regimenter in den Rücken fielen —
dann hätten die feindlichen Heere in einem gewaltigen
Vorstoß über Forbach und Saargemünd die Saarbrücker
Lande besetzt und die Stadt Saarbrücken betreten.
Die Nacht verbrachten wir im Automobil, und die Müdig
keit sowie die begreifliche Abspannung nach all den Ein
drücken des vergangenen Tages verhalfen uns zu einem
wenn auch nur unruhigen Schlaf. Wir fuhren am anderen
Morgen in der Frühe aus Luneville
hinaus und hatten im nächsten Augen
blick vor uns das gewaltige Schlacht
feld, über das wir am vergangenen
Abend in der Dunkelheit gefahren
waren. Große frische Erdhügel, sorg
fältig geebnet und abgegrenzt, mit
Holzkreuzen versehen, zeigten die
Massengräber an, in denen die Ka
meradentreue unsere gefallenen Hel
den bereits zur letzten Ruhe gebettet
hatte. Hier wie überall hatten unsere
Soldaten zunächst für die Bestattung
unserer Gefallenen gesorgt.
Unser Weg führt uns nach Einville
zum Feldlazarett Nr. 7. Die Arzte
arbeiten mit einer Hingebung , die
ihresgleichen sucht, aber sie können
die Riesenaufgabe kaum bewältigen.
Wir setzen in der Dunkelheit tastend
Fuß vor Fuß, die Verwundeten nicht
zu verletzen, die Toten nicht zu treten.
Und ich habe dann den Toten ge
funden, den ich suchen und seiner
trauernden Witwe zuführen sollte,
damit er in der Heimat die letzte
Ruhestätte bei seinen Lieben finde,
einen jungen Offizier, der wenige
Tage nach der Mobilmachung mit
seiner jungen Frau vor mir am Altar
stand, daß ich den Bund fürs Leben
segne. Und heute schon, kurze Wochen
nach der Nottrauung, liegt er als
einer der gefallenen Helden in sei
nem Blute vor mir! Französische
Einwohner von Einville, arme Tag
löhner, halfen mir den Toten auf
suchen. Sie haben im Schweiße
ihres Angesichts bei dem traurigen
Werke geschafft; doch als ich sie ent
lohnen will, lehnen sie einmütig ab.
„O dieser junge, tapfere Offizier!"
rufen sie aus, „o sein tragisches Ge
schick, seine arme junge Frau! Nein,
wir sind Christen, wir nehmen nichts!"
Es ist nur unmöglich, sie für ihre
Dienste zu bezahlen. Ich reiche ihnen
allen die Hand und danke ihnen tief
erschüttert.
Mein Weg geht wieder heimwärts
mit dem stillen Toten. Noch einmal
halten wir vor einem Lazarett, in
dem die Leiche des heute früh seinen
schweren Verletzungen erlegenen
Obersten Foerster vom Forbacher
Infanterieregiment liegt. Tiefbewegt
treten wir an das Totenlager. Auf
der Erde gebettet, mit dem Mantel
bedeckt, Helm und Degen auf der
Brust, das Lager von dem treuen
Burschen mit Blumen geschmückt, so
liegt er da, trotz der schweren Wun
den das Antlitz voll tiefsten Friedens.
Ein Notsarg ist schnell hergerichtet,
und ich nehme auch diesen Toten auf
dem mir zur Verfügung stehenden
Lastauto mit in die Heimat.
Die Fahrt ist wieder voll unver
gänglicher Eindrücke. Der Abend beginnt zu dunkeln; wunder-
volle Lagerbilder tauchen auf. Um die Feuer sitzen die Mann
schaften, Hunderte von rastenden Pferden drängen die Köpfe
Zusammen. Wohltuend berührt uns im Vorüberfahren die
Abendstunde des Biwaklebens. Wär's nur nicht der Krieg!
Eine gute Weile geht die Fahrt glatt vonstatten; da aber hem
men marschierende Truppen den Weg. Wir liegen an einer
schmalen Brücke über den Rhein-Marne-Kanal fest, und nun
erleben wir ein für unsere deutschen Herzen überwältigendes
Schauspiel: endlose Kolonnen sind auf dem Anmarsch.
Noch ist es hell genug, der gewaltigen Szene zu folgen.
Auf allen Heerstraßen bis hin zum Horizont zieht es