128
Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15.
Diese Schlacht gibt uns die Gewißheit, daß wir in unseren
Gewässern jede Flotte der Welt nur so lange zu dulden
bxauchen, wie es uns paßt." —
An: 16. Dezember trat ein Ereignis ein, das von
englischer Seite als unsere Rache für die Niederlage
bei den Falklandsinseln bezeichnet wurde. An diesem
Tage wurde amtlich gemeldet, daß Teile unserer Hoch-
seestreitkräfte einen Vorstoß nach der englischen Ost
küste unternommen und die beiden befestigten Küsten
plätze Scarborough und Hartlepool beschossen hätten.
Am nächsten Tage wurden amtlich folgende Einzelheiten
bekanntgegeben:
Bei ihrer Annäherung an die englische Küste wurden
unsere Kreuzer bei unsichtigem Wetter durch vier eng
lische Torpedobootszerstörer erfolglos angegriffen. Ein
Zerstörer wurde vernichtet, ein anderer kan: in schwer
beschädigtem Zustande ^außer Sicht. Die Batterie von
Hartlepool wurde zum Schweigen gebracht, die Gasbehälter
vernichtet, und drei große Brände in der Stadt konnten
von Bord aus festgestellt werden. Küstenwachstation und
Wasserwerk von Scarborough, Küstenwache und Signal-
station von Whitby wurden zerstört. Unsere Schiffe erhielten
von den Küstenbatterien einige Treffer, die nur geringen
Schaden verursachten. An einer anderen Stelle wurde
noch ein weiterer englischer Torpedobootszerstörer zum
Sinken gebracht.
Der stellvertretende Chef des Admiralstabs:
Behncke.
Die Schilderung eines Teilnehmers an diesem Flotten
angriff auf die englische Küste finden unsere Leser bereits
auf Seite 18.
Die Gegend, gegen die sich der deutsche Angriff richtete,
ist der sogenannte Teesdistrikt, eines der wichtigsten Schiffs
inaschinen- und Schiffskesselzentren Englands. Dort be
finden sich nicht weniger als neunzehn große Industrie-
werke, die sich mit den genannten, für den Schiffsbau
wichtigen Zweigen beschäftigen. Vier von ihnen befinden
sich in Hartlepool, die übrigen in Middlesborough, Stockton
und Tees, Whitby und Darlington, Orte, die sämtlich nicht
allzuweit von anderen durch die deutschen Schiffe be
drohten Gebieten gelegen sind. Offenbar war es unseren
Schiffen darum zu tun, die Schiffsbautätigkeit, die für die
Verstärkung der englischen Flotte auch durch den Bau von
Transportschiffen von Wichtigkeit ist, zu stören und gleich
zeitig zu erkunden, welche Seestreitkräfte die Engländer
in dieser wichtigen Gegend zum Schutze der Küste bereit
gestellt hatten. —
Der Morgen des ersten Weihnachtsfeiertages war Zeuge
eines Fliegerkampfes vor unserer Nordseeküste. Leichte
englische Streitkrüfte, hauptsächlich Zerstörer, Flugzeuge,
Transportschiffe und einige Kreuzer unternahmen einen
Vorstoß in die deutsche Nordseebucht in der Nähe von
Curhaven. Nebliges Wetter begünstigte ihre Annäherung.
Eine Anzahl von Wasserflugzeugen stieg auf, um gegen die
deutschen Flußmündungen und die dort liegenden Schiffe
zu operieren. Es wurden gegen solche zahlreiche Bomben
geworfen, und auch ein großer Gasbehälter war Ziel der
Angriffe der englischen Flieger. Daraufhin wurden sofort
deutsche Flugzeuge und Luftschiffe ausgesandt, um die
unter Feuer genommenen und zurückflutenden gegnerischen
Luftfahrzeuge zu verfolgen und um aufzuklären. Bei
dieser Gelegenheit wurden auch gegen die englischen See
streitkräfte Bomben abgeworfen, und es gelangen Treffer
auf zwei Zerstörer und einen Begleitdampfer. Das
herrschende Nebelwetter verhinderte die weitere Verfolgung.
Wie sich später herausstellte, waren drei englische Flugzeuge
gesunken, und ein viertes wurde später 12 Kilometer von
Helgoland als Wrack gesehen. — Die englische Heeres- und
Marineverwaltung hat ungeheure Summen für den Aus
ban des Flugwesens ausgegeben. Mehrere hundert
Apparate bildeten den Flugpark Englands. Bis jetzt hat
sich aber, bis auf einige Bombenwürfe, die von kühnen und
geschickten Fliegern auch im Innern Deutschlands vor
genommen wurden, die englische Fliegerwaffe nicht be
sonders hervorgetan. Da kam am 25. Dezember dieser
Massenangriff. Das Ergebnis war kein besonderes. Die
abgeworfenen Bomben erfüllten ihren Zweck, den Gegner
zu schädigen, nicht. In ganz anderer Weise haben die
rasch und in aller Eile alarmierten deutschen Flugzeuge
ihre Aufgabe gelöst. Sie nahmen die Verfolgung auf,
und es gelang ihnen, zwei Zerstörer und einen Begleit
dampfer mit Bomben zu treffen.
Fast gleichzeitig wurde auch von uns der englischen
Küste ein Fliegerbesuch abgestattet. Ein großes deutsches
Flugzeuggeschwader von inindestens 16 Flugzeugen erschien
an: 25. Dezember vormittags an der englischen Küste un
weit der Themsemündung. Es flog die Südküste entlang
bis Dover (siehe die Kunstbeilage), wo einige Bomben
geworfen wurden. Darauf flog es weiter in der Richtung
nach Dünkirchen und eröffnete dort ein heftiges Bombarde
ment auf die von den Engländern besetzten Teile der
Stadt. Später erschien das Geschwader über Ostende.
Im ganzen wurden über Dünkirchen 40—50 Bomben
geworfen, die erheblichen Schaden anrichteten. Eine An
zahl Personen wurde getötet und verwundet. Sämtliche
deutschen Flugzeuge fuhren unbeschädigt an ihren Aufstiegs
ort zurück. Die „Times" brachten einen ausführlichen
Bericht von der Jagd auf einen dieser Flieger. Wir ent
nehmen dem Berichte folgendes:
„Kurz vor ein Uhr erschien heute mittag ein deutsches
Flugzeug von den: Albatrostyp bei Purfleet. Der dichte
Nebel, der seit dem frühen Morgen geherrscht hatte, begann
sich in Fetzen aufzulösen, als die Wachmannschaften den
unwillkommenen East sichteten. Er wurde sosort :nil
Schrapnellfeuer aus den wider die Luftschiffe aufgestellten
Geschützen beschossen. Auch machten sich drei Doppel
decker zur Verfolgung auf, und es entwickelte sich ein
eigenartiges Gefecht in der Luft. Der deutsche Flieger
versuchte sich dem Bereich der Geschosse zu entziehen.
Zwei von den britischen Flugzeugen suchten ihn zu über
holen. Der wackere Feind hatte :nit drei Gegnern zu
rechnen. Zwei unserer Flugzeuge erhoben sich über ihn,
während das dritte, das ein Schnellfeuergeschütz führte,
ihm von unten im spitzen Winkel mit Feuer zusetzte. Der
Feind und sein Mitfahrer erwiderten das Feuer. Sie manöv
rierten ausgezeichnet. Der Flieger war offenbar ein aus
gesucht geschickter Fachmann. Er lenkte sein Flugzeug i»
der Weise, daß die Gefahr eines Treffers soweit möglich
verhindert wurde und gleichzeitig seine Gegner Schwierig
keiten hatten, auf ihn zu feuern, ohne eigene Flugzeuge
zu treffen. Der Kampf zog sich in der Richtung des Kenter
Ufers dahin. Bei Sheerneß und Southend, die sich auf
den beiden Ufern gegenüberliegen, war das Feuer sehr
lebhaft. Zahlreiche britische Flugzeuge beteiligten sich an
der Verfolgung. Es scheint jedoch, daß der Nebel ihre
Bemühungen vereitelte." —
Um die Jahreswende erhielten wir die Nachricht von
einer weiteren kühnen Tat unserer Blaujacken. Wir er
fuhren, daß sich etwa 50 Mann der „Emden"-Mannschaft
zunächst eines alten englischen Dreiinasters namens „Ayesha"
bemächtigt hatten. In das Schiff bauten sie einige Kanonen
und ein Maschinengewehr ein. Diese Geschütze bildeten
zusammen mit einem wiederhergestellten alten Mörser, der
sich auf der „Ayesha" befand, die gesäurte Bewaffnung
dieses Segelschiffes, das die ganze Handelsschiffahrt in den
ostindischen Gewässern aufs höchste störte und beunruhigte
und allen Verfolgungen der englischen Kreuzer trotzte. Die
„Ayesha" kaperte nun einen ziemlich nwdernen englischen
Kohlendampfer, die „Orford". Der größere Teil der deut
schen Mannschaft siedelte auf den Danrpfer über, der nun
als „Emden II" Jagd auf englische und französische Handels
schiffe machte. Man fürchtete englischerseits, daß dieser
„Emden II" eine Reihe Handelsfahrzeuge zum Opfer ge
fallen seien, da von ostindischen Hafenbehörden rnehrere
Handelsdampfer als überfällig gemeldet worden waren.
Deshalb erließ die Marinebehörde in Rangun eine öffent
liche Warnung vor „Ayesha" und „Orford" mit der ge
nauen Beschreibung beider Schiffe. Dem Konnnandanten
der „Enrden II" aber gelang es, durch alle französischen
und englischen Flottenverbände hindurch Anfang Februar
1915 Hodeida an der arabischen Küste zu erreichen, wo er
und seine heldenhafte Mannschaft in Sicherheit waren.
Dieser deutsche Wagemut zur See ist in der Seekriegs
geschichte ohne Beispiel und wird nicht weniger ein glänzen
des Ruhmesblatt bleiben als die Taten der „Emden". —
Erfreuliches konnte die österreichisch-ungarische Marine-
leitung im Dezember von ihrer Flotte melden. Ein Teil
der französischen Flotte sollte damals vor den Dardanellen
liegen, ein anderer an der kleinasiatischen Küste, um die