Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Zweiter Band. (Zweiter Band)

110 
Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. 
Bundes der drei Kaiserreiche Österreich-Ungarn, Deutschland 
und der Türkei, die nicht aus persönlichen Beweggründen 
hervorgegangen sei, sondern den natürlichen Zusammen 
schluß der drei Reiche zur Bekämpfung der gemeinsamen 
Feinde bedeute, die eine unwürdige Allianz eingegangen 
seien, wie sie die Geschichte niemals zu verzeichnen hatte. 
Unter stürmischem Beifall erschien Botschafter Markgraf 
Pallavicini auf dem Balkon. Er dankte mit beredten Worten 
für die Kundgebung. Mit lebhafter Genugtuung stelle er 
fest, daß das ottomanische Volk heute erkenne, wer seine 
wahren Freunde und welches seine wahren Interessen seien. 
Seit acht Jahren habe der Botschafter an der Verständigung 
zwischen Österreich-Ungarn und der Türkei gearbeitet, und 
er sei glücklich, heute feststellen zu können, daß die in dieser 
Richtung entwickelten Bemühungen von Erfolg gekrönt 
gewesen seien und nunmehr in dem gegen die gemein 
samen Feinde unternommenen Kampfe zum angestrebten 
Ziele geführt hätlen. Der Botschafter beglückwünschte das 
türkische Volk zu den von der ottomanischen Armee gleich 
zu Beginn des Krieges erzielten Erfolgen, die glückliche 
Aussichten für die Zukunft eröffneten, und schloß mit Hoch 
rufen auf den Sultan und das türkische Volk. 
Im alten Serail von Topkapu empfing der Sultan am 
selben Tage vor dem Mantel des Propheten in Gegenwart 
des Eroßwesirs, des Scheichs ul Islam und einiger Minister 
eine Abordnung seines Volkes und hielt folgende Ansprache: 
„Ich betrachte diese patriotische Kundgebung meines 
Volkes als den glänzendsten Beweis für die Beharrlichkeit 
und Festigkeit, die es in der Verteidigung des Vaterlandes 
während dieses Krieges zeigen wird, den wir zur Verteidi 
gung unserer Rechte gegen drei Großmächte unternehmen. 
Wir vertrauen dabei auf den göttlichen Schutz und den 
Beistand des Propheten. 
Ich bin überzeugt, daß wir siegen werden. 
Meine Kinder! Auf daß der Boden des Vaterlandes 
nicht von den Feinden überschwemmt werde, auf daß das 
seit einiger Zeit Angriffen von allen Seiten ausgesetzte 
mohammedanische Volk gerettet werde, ist es notwendig, 
daß ihr Festigkeit und Ausdauer zeigt. 
Ich erwarte von der Gnade Gottes, daß unsere an diesem 
heiligen Orte gesprochenen Gebete erhört werden." 
Die Folgen, die sich aus der Proklamierung des Heiligen 
Krieges ergeben, können, wie vr. Hans Abersberger, Pro 
fessor für Geschichte Osteuropas an der Wiener Universität, 
sich in der „Reuen Freien Presse" äußerte, ganz außerordent 
liche sein. Seit dem 17. Jahrhundert hat kein türkischer 
Herrscher Veranlassung gefunden, die außerordentliche Maß 
regel zu treffen, die sich im Namen des islamitischen Glaubens 
an alle Bekenner wendet und sie zum Kampfe im Namen des 
Propheten auffordert. Selbst im ersten und zweiten Türken- 
Iriege, in dem es auch zur öffentlichen Schaustellung der 
Fahne des Propheten kam, wurde der Heilige Krieg, der 
„Dschihad", nicht verkündet. In der Sammlung der 
.Scheriatsgesetze, die im 16. Jahrhundert erschienen ist, ist 
vom Heiligen Krieg die Rede. Er verlangt von allen Recht 
gläubigen mit Ausschluß der Frauen und Kinder, der 
Lahmen und Blinden den Krieg gegen die Ungläubigen. 
Der Heilige Krieg war also ursprünglich ein Glaubenskrieg, 
den Kreuzzügen vergleichbar, und hat im Laufe der Zeiten 
vielleicht seinen ursprünglichen Charakter verloren. Der 
Heilige Krieg, der jetzt verkündet wurde, ist ein Krieg gegen 
die Feinde des Islams. Eine sichere Voraussage ist natür 
lich nicht möglich, aber die Tatsache, daß ein ganz ansehn 
licher Teil der russischen Bevölkerung dem Islam zuzuzählen 
ist, muß allein bedeutungsvoll genannt werden. Es liegen 
interessante Ziffern vor, die aus dem Jahre 1910 stammen. 
Damals ergab sich bei einer Gesamtbevölkerung Rußlands, 
einschließlich Finnlands, von 174 990 600 ein Prozentsatz 
von 10,6 an turkotatarischer Bevölkerung, also ungefähr 
18 Millionen Jslamiten. Hierzu muß bemerkt werden, 
daß die Tataren Rußlands zu der politischen und kulturellen 
Auslese des Islams zählen. 
Aber es muß auch darauf hingewiesen werden, daß in 
Indien, Ägypten und Afrika die panislamitische Bewegung 
sehr stark geworden ist und auch auf die Negerstämme 
übergegriffen hat. Es ist leicht einzusehen, daß der große 
Kolonialbesitz Frankreichs und Englands wohl die Gelegen 
heit ergeben kann, daß zumindest in den Kolonien den beiden 
Staaten durch eine Erhebung der Panislamiten arge Ver 
legenheiten bereitet werden könnten. Die Vereinigung der 
Schiiten und Sunniten hat zu einer bedeutenden Stärkung 
des Panislamismus geführt, und es wird sich bald zeigen, 
welche praktischen Einflüsse die hier angeführten Tatsachen 
auf den Weltkrieg werden nehmen können. 
Was den Schritt des Sultans gefördert haben muß, ist, 
daß sich in der modernen Zeit zum erstenmal die politische 
Gelegenheit zur Proklamierung des Heiligen Krieges er 
geben hat. Bisher hat ja England offiziell immer an der 
Seite der Türkei gestanden, und diese mußte auch in ihrem 
letzten Kriege gegen Rußland von einer Proklamierung des 
Heiligen Krieges absehen, weil er sich ja auch gegen Eng 
land und Frankreich geltend gemacht hätte. Diese Rück 
sichten sind in den gegenwärtigen kriegerischen Konflikten 
weggefallen. Die Türkei konnte zum erstenmal seit Jahr 
hunderten den Heiligen Krieg gegen die Feinde des Islams 
verkünden, und die Ereignisse werden lehren, welche Kräfte 
der Islam einzusetzen hat. 
(Fortsetzung folgt.) 
Illustrierte Kriegsberichte. 
Die Erstürmung von Hassankale durch die 
Türken und die Niederlage der Russen bei 
Köpriköj. 
(Hierzu das Bild Seite 109.) 
Auf die ersten Schüsse, mit denen die türkische Flotte 
im Schwarzen Meere so erfolgreich und überraschend den 
Krieg gegen Rußland eröffnete, folgte bereits nach wenigen 
Tagen der erste Zusammenstoß der feindlichen Heere zu 
Lande, der ebenfalls mit einem glänzenden Sieg der 
Türken endete. 
Das Tal des Arasflusses aufwärts waren die Russen 
von der kaukasischen Festung Kars aus in der Richtung 
auf Erzerum, den Schlüssel zu Armenien, in türkisches Ge 
biet eingedrungen, auf demselben Wege, der sie schon in 
den Kriegen von 1829 und 1878 ins Herz Hocharmeniens 
geführt hatte. Die schwachen türkischen Grenzschutztruppen 
zogen sich langsam, aber unter stetiger Fühlung mit dem 
Feind, unter die Forts von Erzerum zurück, während die 
Russen zuerst bei Köpriköj, das ungefähr in der Mitte 
zwischen Erzerum und der russischen Grenze liegt, halt 
machten. 
Köpriköj, das Brückendorf, so genannt nach der alten 
Brücke, die unterhalb des Ortes über den Aras führt, 
ist an der Gabelung der Karawanenstraßen nach Kars 
einerseits und nach der persischen Provinz Aserbeidschan 
anderseits gelegen. Diese Heerstraßen, aus denen sich 
notwendigerweise auch der türkische Aufmarsch vollziehen 
mußte, suchten die Russen zu sperren, indem sie hier eine 
befestigte Stellung bezogen und sich des etwas weiter west 
lich gelegenen Forts Hassankale bemächtigten, das, auf einem 
mäßig steilen, einzeln liegenden Bergkegel sich erhebend, 
das fruchtbare Tal des Aras und die Karawanenstraßen be 
herrscht. 
Schon seit den Tagen der Chaldäer verstanden es die 
Bewohner Armeniens, diesen natürlichen Stützpunkt zu 
befestigen, der jetzt von einem alten romantischen Schloß, 
der Hassansburg, gekrönt ist, die von den Sassaniden an 
gelegt und von den Türken im Laufe der Jahrhunderte 
weiter ausgebaut wurde. Auf diesen Luginsland hatten 
die Russen Artillerie und Maschinengewehre geschafft, 
während sich ihre Infanterie und Kavallerie, verstärkt durch 
das "anze 1. kaukasische Armeekorps, zwischen Hassankale 
und köpriköj in der Ebene entfaltete. 
Am 5. November eröffneten die Kosaken einen Angriff 
auf die türkischen Stellungen unterhalb Köpriköj, der aber 
blutig abgeschlagen wurde. Schon am nächsten Tage gingen 
die Türken zum Angriff über, und als Verstärkungen von 
Erzerum eingetroffen waren, wurden die russischen Schützen 
gräben mit dem Bajonett genommen. In kurzem war 
der Feind aus der Ebene verdrängt; nur in Köpriköj und
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.