Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Vierter Band. (Vierter Band)

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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/16. 
mäht, gleich als ob die Sichel des Landmanns die reifen Ähren 
erntete. Tapfer sind sie, die Soldaten des Zaren, das muß man 
anerkennen; mag es auch nur die Tapferkeit der Verzweif 
lung sein, denn hinter ihnen liegt das Sperrfeuer ihrer 
eigenen Artillerie, um sie am Rückfluten zu verhindern, 
hinter ihnen droht die Nagaika der Kosakenbrigade, die zwar 
eigentlich zur Verfolgung der geschlagenen deutschen Heere 
hier zusammengezogen ist, aber auch gegen die eigenen 
Landeskinder nützliche Dienste leistet. Wie ein Mann springt 
bei uns die Besatzung aus dem schützenden Graben auf 
die Brustwehr. Stehend gibt sie freihändig Schnellfeuer 
in die Russenmassen. Blutig bricht der erste Angriff zu 
sammen. 
Wütend setzt wieder die russische Artillerie ein, um das 
Werk der Sturmreifgestaltung unserer Front zu vollenden. 
Wiederum prasselt und hagelt es aus Hunderten von Schlün 
den Tod und Verderben. Drei Stunden später brechen 
abermals die dichten Wellen der Angreifer vor, während 
an vielen Stellen der übrigen Front kleinere Angriffe den 
Hauptstoß zu verschleiern suchen, während man dort die 
Unseren festhalten und täuschen will, damit die eigentliche 
Einbruchstelle um so sicherer gefaßt werden könne. Aber 
nichts kann unsere Tapferen täuschen, sie stehen für sich 
und fragen gar nicht 
nach rechts und links. 
Der neue Angriff ist 
ebenso abgeschmettert 
wie der alte. Ein ein- 
zigeslothringischesRe- 
giment steht da in 
ziemlich breitemFront- 
abschnitt, und zwei Di 
visionen haben sich am 
ersten Sturmtage blu 
tig die Köpfe an ihm 
eingerannt. 
Die ganze Nacht 
bricht das Russenfeuer 
nicht ab und hört der 
Regen nicht auf, ohne 
Unterlaß herabzuströ 
men. Es wird höchst 
ungemütlich in den 
Gräben, die sich mit 
Wasser füllen, in den 
Unterständen,wo schon 
Stühle und Tische zu 
schwimmen beginnen. 
Wer denkt an Feld 
küchen, wer denkt an 
Ablösung? Die Essen 
träger und Patronen 
träger kommen in un 
ermüdlich e mEifer na ch 
vorn, man rüstet sich 
zu neuem Kampfe. Man flickt die Drahthindernisse und 
die Brüstungen, man harrt des neuen Kampftages. 
Wiederum beginnen die Russen den Tanz. Ihr Feuer 
wird genauer und dichter. Der Wald verändert gar bald 
sein Aussehen. Die ganze Laubdecke bröckelt langsam 
ab, es splittert und kracht unheimlich im Geäst, der Wald 
boden bedeckt sich viele Meter hoch allüberall mit Zweigen 
und Tannennadeln, alte knorrige Gesellen stürzen herunter 
und versperren die Wege, ein toller Wirrwarr entsteht. 
Den ganzen Tag über dauert das an, leichtere Angriffe der 
Russen hält das deutsche Maschinengewehr in Schach. Aber 
mals naht die Nacht, aber keine Nacht der Stille und der 
Erholung, sondern eine Nacht der Leuchtraketen und der 
Scheinwerfer, der Eeschühblitze und der Flammen berstender 
Granaten und Schrapnelle. Das brave lothringische Regi 
ment hat inzwischen Verstärkung erhalten und trotzt allen 
kommenden Unbilden mit ungebrochenem Mute. 
Die Russen mögen hier und dort einmal in die Draht 
hindernisse kommen, ja auch einmal in die Gräben herein 
dringen, stets wirft sie ein unmittelbar angesetzter Gegen 
stoß wieder glänzend hinaus, und gerade bei diesem dann 
folgenden Zurückfluten sind ihre Verluste besonders schwer. 
Die Luft ist erfüllt vom Stöhnen und Schreien der Hun 
derte russischer Verwundeter, die in unseren Drahthinder 
nissen hängen, die vor unseren Gräben liegen, so nahe, 
daß man sie greifen und hereinholen könnte, wenn nicht 
der Eisenhagel so dicht wäre wie anklatschender Regen und 
jedes Rettungswerk hinderte. Am dritten Sturmtage kom 
men die Russen auf kurze Zeit in die Gräben herein und halten 
sich da auf. Ein junger Pionierfähnrich hemmt ihren Lauf 
mit einem Häuflein Getreuer, ein schlesischer Landwehr 
mann wirft seine vierzig Handgranaten in ihr Grabenstück, 
dann kommen die Reserven unter der persönlichen Führung 
des Regimentskommandeurs der Lothringer, und schon sind 
die Russen wieder vertrieben, ist die deutsche Stellung fest 
in deutscher Hand. 
Am 21. März in der Morgenfrühe haben die Russen 
neue Divisionen, herangebracht, für jeden Toten scheinen 
zwei neue Stürmer aus dem Waldboden aufzustehen, so 
viele kann man gar nicht zusammenschießen, als da immer 
wieder anrennen und lostoben. Wieder dringt der Stoß 
in unsere Gräben und durch bis zu den Blockhütten im 
Walde, wo unsere Reserven liegen. Wieder wirft ein Gegen 
stoß die Eindringlinge mit Wucht hinaus und vertreibt sie 
bis hinter die Drahthindernisse. Wundervoll ist das Zu 
sammenarbeiten von Infanterie und Artillerie auch dort, 
wo die Fernsprechleitungen durch das Geschütz- und Gewehr- 
feuer unterbrochen sind, wo es auf Signale und Meldungs 
übermittlung durch 
Boten, aber noch mehr 
auf das Gefühl und den 
Instinkt ankommt, um 
sich gegenseitig zu ver 
stehen und sich gegen 
seitig zu unterstützen. 
Erst in der Nacht 
zum 22. März werden 
die braven Lothringer 
mit ihrem westfälischen 
Ersatz abgelöst und 
ziehen in die wohlver 
diente Ruhestellung. 
Ich sehe sie einen Tag 
später. Nicht sehr 
parademäßig schauen 
sie aus, nicht über 
mäßig gestriegelt und 
gebügelt. Aber fest, 
kernhaft und treu. 
Blicke wie blitzender 
Stahl, braune, harte 
Gesichter, eingefallene 
Wangenvielleicht,aber 
leuchtende Augen des 
Stolzes und d er Pfli cht- 
erfüllung. Fünf Divi 
sionen abgewehrt zu 
haben, das ist eine 
Ruhmestat für das 
Regiment des Saar 
brücker Korps, von der die Geschichte des deutschen Volkes 
und des großen Krieges erzählen wird. Und jeder, der da 
bei war, fühlt es, daß er in diesen Tagen des Ansturmes 
gegen die Hindenburgmauer Geschichte miterlebt und mit 
geschaffen hat. 
Am 24. März halten die Russen Ruhe und frischen ihre 
zersplitterten und zerschmetterten Verbände wieder auf, am 
25. laufen sie abermals an, und eine neue Schlacht tobt 
Mei Tage lang in dem Gelände, in das inzwischen die 
beiden Flüßchen verschwenderisch ihre Uberschwemmungs- 
gewässer ergossen haben. Pferde sinken bis an den Bauch 
ins Wasser, Wagen ächzen bis tief über die Achse in Kot 
und Schlamm, Feldküchen fahren sechsspännig und Protzen 
achtspännig. Aber der Menschenwall ist undurchdringlich, 
die Front von Postawy steht unerschütterlich. Stellenweise 
kommen die Russen in die Gräben, nur um alsbald wieder 
hinausgedrängt zu werden. Es ist das alte Lied mit neuen 
Strophen, das Hohelied vom Heldenmut der Truppen. 
Gegen Tirol und Kärnten. 
Von Walter Oertel, Kriegsberichterstatter. 
^Hierzu die Bilder Seite 470 und 471.) 
Italien marschierte. Während sich eine Heeressäule 
gegen die Jsonzofront in Bewegung setzte, zogen sich bei
	        
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