Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Vierter Band. (Vierter Band)

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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/16. 
war, daß die englischen Flieger, da der wirkliche Feind nicht 
inehr zu sehen war, sich gegenseitig für Feinde hielten, so 
daß es zwischen einem Wasserflugzeug und einem Lcmdflug- 
zeug zu einem regelrechten Kampf kam, in den zum Überfluß 
auch noch eine englische Landbatterie eingriff; wenn diese 
zwar auch nicht die eigenen Landsleute aus der Luft nieder 
holte , so beschädigte sie immerhin die Kirche von Walmer 
und verwundete eine Anzahl englischer Soldaten in der 
Kaserne. Eine solche Kopflosigkeit nach allen im Luftkriege 
schon gemachten Erfahrungen konnte das Vertrauen der 
englischen Bevölkerung zu der Zuverlässigkeit der Abwehr 
mittel freilich nicht stärken. 
Ein neuer deutscher Luftangriff galt am 2. März der 
englischen Südostküste, bei dem ein deutsches Wasserflugzeug 
über zahlreichen Plätzen dieses schon so oft heimgesuchten 
Gebietes kreuzte, um nach Abwerfung seiner Bomben 
unversehrt umzukehren. Die englische amtliche Meldung 
versicherte, daß an militärischen Gebäuden kein Schaden 
angerichtet worden sei, gab mit 
telbar also anderen Schaden zu. 
Eine neue Erfahrungbrachte 
der Angriff deutscher Marine- 
luftschiffe auf England in der 
Nacht vom 5. zum 6. März: 
er zerstörte die weitverbreitete 
Ansicht, daß Zeppelinangriffe 
nur bei gutem Wetter möglich 
seien. Es wurde in zahlreichen 
englischen und auch franzö 
sischen Blättern mit Beklem 
mung festgestellt, daß trotz des 
heftigen Schneesturms, der um 
jene Zeit über den betroffenen 
Grafschaften herrschte, der Luft 
angriff in seiner Wucht und 
Wirkung nicht beeinträchtigt 
Worden sei. Sein Hauptziel 
war Hüll am Humber mit sei 
nen mächtigen Dockanlagen, die 
reichlich mit Bomben bedacht 
wurden, ohne daß es dem hef 
tigen Feuer der englischen Ab 
wehrbatterien gelungen wäre, 
die Zeppeline an der glück 
lichen Heimkehr zu verhindern. 
— Nach den Mitteilungen des 
englischen Kriegsamtes waren 
es drei Fahrzeuge gewesen, die 
sich nach ihrem Eintreffen über 
der englischen Küste nach ver 
schiedenen Richtungen verteil 
ten; Porkshire, Lincolnshire, 
Nutland, Huntingdon, Cam- 
bridgeshire, Norfolk, Esser und 
Kent wurden von dem Besuch 
betroffen. Die amtliche Mel 
dung enthielt unter anderem 
die Mitteilung, daß 3 Männer, 
4 Frauen und 5 Kinder um 
gekommen seien, eine Angabe, deren Richtigkeit wegen der 
künstlichen Steigerung (3, 4, 5) wohl mit Recht bezweifelt 
werden darf. Nach Erwähnung von 33 Verwundeten wur 
den dann in dem Bericht die zu Schaden gekommenen 
Gebäude aufgeführt, unter denen zu erneutem Beweise der 
feststehenden Behauptung von deutscher Barbarei auch ein 
Block Armenhäuser nicht vergessen war. 
Dieser jüngste Zeppelinbesuch hatte ein Nachspiel im 
Parlament, wo der amtlichen Darstellung, als habe es sich 
bei dem Angriff um eine Harmlosigkeit gehandelt, an Hand 
der Tatsachen in lebhafter Auseinandersetzung aufs ent 
schiedenste widersprochen wurde; groß war namentlich auch 
der Unwille über das Versagen der Abwehrvorkehrungen. 
Herrschte schon in dieser Hinsicht Unzufriedenheit, so 
war auch manches andere nur zu geeignet, auf die Kriegs 
freudigkeit zu drücken. So machte vor allem die Einführung 
der allgemeinen Wehrpflicht viel böses Blut, zumal die 
Einberufenen überrumpelt worden zu sein glaubten. 
Infolgedessen kam es außerordentlich viel vor, daß sich die 
kriegstauglichen Männer der Dienstpflicht zu entziehen 
suchten. Vor den Gerichten, die sich mit diesen Fällen zu 
beschäftigen hatten, wurden die verschiedensten Vorwände 
geltend gemacht. Die Verheirateten zum Beispiel beriefen 
sich auf das Versprechen, daß man erst dann von ihrer Mel 
dung zum Waffendienst habe Gebrauch machen wollen, 
wenn zuvor die Unverheirateten eingezogen sein würden, 
während in Wahrheit seitens der Behörden zwischen Ver 
heirateten und Ledigen kein Unterschied gemacht wurde. 
Viele weigerten sich zwar nicht, ins Heer einzutreten, be 
standen aber darauf, nur hinter der Front verwendet zu 
werden, da sie es mit ihrem Gewissen nicht vereinbaren 
könnten, andere Menschen zu töten. Auch Unabkömmlich 
keit wurde von den Angehörigen der verschiedensten Berufe 
vorgeschützt. 
Auch noch in anderer Beziehung hatte man in England 
reichlich Grund, mit dem Verlauf und den Wirkungen des 
Krieges unzufrieden zu sein. Auf dem Gebiete des Handels, 
auf dem England große Erfolge zu ernten gehofft hatte, 
trat nach der großen englischen Finanzzeitschrift „Economist" 
eine mit der Dauer des Krie 
ges wachsende Verschiebung 
zuungunsten Englands ein. 
Die Ausfuhr Englands nahm 
amraschestennach den Gebieten 
ab, die in Friedenszeiten ein 
Hauptgebiet des englischen 
Handels gewesen waren: den 
eigenen Kolonien und anderen 
überseeischen Ländern. Im 
Vergleich mit 1913 hatte im 
Jahre 1915 die englische Aus 
fuhr nach Indien um über 
35 Prozent (nämlich um 15 Mil 
lionen Pfund Sterling), nach 
Australien um 15 Prozent, nach 
Kanada um 45 Prozent, nach 
Neuseeland um 10 Prozent, 
nach den amerikanischen Süd 
staaten um 50 bis 70 Prozent, 
nach Südafrika um 20 Pro 
zent, nach China um über 
45 Prozent, nach Japan gar 
um über 75 Prozent abgenom 
men. Es' sieht also vorerst nicht 
so aus, als sollte der Krieg gegen 
Deutschland England seinem 
Ziele, den deutschen Kaufmann 
in Übersee zu verdrängen, 
näher bringen. Die Industrie 
sah ihre Wettbewerbsfähigkeit 
vielmehr durch Arbeiterschwie 
rigkeiten, Teuerung, erhöhte 
Lohn- und Frachtsätze, Mangel 
an Frachtraum sehr stark be 
einträchtigt. Der Ausfall an 
der Ausfuhr nach den genannten 
Ländern wurde durch Verdop 
pelung der Ausfuhr nach Frank 
reich und durch das Steigen 
derjenigen nach Holland, Nor 
wegen und Dänemark auch nicht annähernd ausgeglichen. 
Um wenigstens einem der drückenden Ubelstände, dem 
Mangel an Frachtraum, abzuhelfen, verfiel England auf 
das Mittel, Portugal, das schon seit Jahrhunderten 
nichts anderes war als ein englischer Vasallenstaat, in den 
Krieg gegen Deutschland hereinzuziehen. Damit gewann 
es die Möglichkeit, über die auf sein Anstiften am 23. Fe 
bruar von der portugiesischen Regierung völkerrechtswidrig 
beschlagnahmten zahlreichen deutschen Schiffe in portu 
giesischen Häfen für seine eigenen Zwecke zu verfügen. 
Diesem schweren Neutralitätsbruch Portugals waren im 
Lauf des Krieges schon andere von geringerer Bedeutung 
vorausgegangen, die hauptsächlich darin bestanden hatten, 
daß den Engländern gestattet worden war, mit ihren gegen 
Deutsch-Ostafrika bestimmten Streitkräften durch das portu 
giesische Gebiet von Afrika zu ziehen. Der Beschlagnahme 
der deutschen Schiffe durch die portugiesische Regierung 
war auch nicht der leiseste Versuch einer Verständigung mit 
Deutschland vorhergegangen, wie auch nachher der deutschen 
Regierung keinerlei Erklärungen gegeben wurden. Die 
schon hieraus hervorgehende Absicht einer Herausforderung
	        
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