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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/17.
sie von den Kämpfen der letzten Monate in Mitleidenschaft
gezogen worden war, wieder recht erbitterte Gefechte ab.
Am 17. September unternahmen die Rumänen westlich
vom Sereth im Bereich der Heeresgruppe Mackensen nach
heftiger Feuervorbereitung bei Varnita und Muncelul
mehrere Angriffe, die trotz enger Begrenzung mit außer
ordentlicher Wucht geführt wurden. Mackensens Truppen
bereiteten den Rumänen aber eine verlustreiche Niederlage.
An der Rimnicmündung stießen die Deutschen zur Erkundung
vor und brachten eine Anzahl Rumänen gefangen zurück.
Tags darauf kam es auch an der Front des Erzherzogs Jose ph
zu schweren Zusammenstößen. Vom Oitoz- bis zum Casinu-
tal hielten die Feinde die österreichisch-ungarischen Linien
unter Feuer und tasteten sich dann nördlich von der in den
Heeresberichten vielgenannten Glasfabrik gegen die Stel
lungen der verbündeten Verteidiger vor (siehe Bild Seite 308).
Sie wurden vollständig zurückgeschlagen. Rach verstärkter
Artillerietätigkcit gingen sie tiefgegliedert von der Glas
fabrik bis zum Oitoztal von neuem vor. Dabei brachen die
Rumänen südlich von Erozesci in die Reihen der Verteidiger
ein, doch mußten sie einem kraftvollen Gegenstoß wieder
weichen. Im Gebiete der südlich stehenden Gruppe der
deutschen und k. u. k. Streitkräfte rangen die Rumänen an
demselben Tage
wieder bei Mun
celul und bei Var
nita um Stellungs
verbesserungen,
opferten aber ihre
Mannschaften auch
hier umsonst.
Auf diesem
Schauplatz gingen
die Truppen der
Mittelmächte eben
falls oft zu An
griffen über und
suchten, wie in frü
heren Gebirgs-
kämpfen, auch un
ter den schwierig
sten Geländever
hältnissen den
Feinden Vorteile
abzugewinnen.
Südlich vom Se
reth brachen am
25. September
deutsche Stoßtrup
pen bis in die hin
teren Linien ihrer
Gegner durch und
brachten nach der
Zerstörung der
feindlichen An
lagen über 100 Gefangene und mehrereMaschinengewehre ein.
Die mannigfache Bedrängnis der russischen Heere, ins
besondere an ihrer Nordwestfront» wurde auch durch die be
ginnende Wiedererstarkung der innerrussischen Verhältnisse
nicht beseitigt. Das Abenteuer Kornilows hatte eine Reihe
bedenklicher Schwierigkeiten zur Folge. Am 14. September
griffen nachts Flieger, die zu Kornilows Truppen gehört
hatten, sogar Petersburg an und töteten durch abgeworfene
Geschosse eine ansehnliche Zahl ihrer eigenen Landsleute.
Es wurde fieberhaft an der Wiederherstellung der Armee
gearbeitet. Allein der neue Kriegsminister Werchowski
wußte sich nick t anders zu helfen, als daß er eine Verminde
rung der russischen Heere um ein Drittel vorschlug, weil das
Land die gewaltige Kriegslast nicht mehr tragen könne.
Die Front sollte aber gekräftigt werden, damit die Truppen
aufs neue um den Sieg zu ringen vermöchten. Mit Be
schämung dachte man an die Regimenter, die in Galizien
vor den anrückenden Gegnern (siche Bild Seite 309) in wil
der Flucht davonrannten (siehe Bild Seite 310 oben) und
auch den Aufforderungen englischer Offiziere, standzuhal
ten, nicht nachkamen (siehe Bild Seite 810 unten).
Der Arbeiter- und Soldatenrat in Moskau nahm eine
Entschließung an, in der die Veröffentlichung der Eeheim-
verträge Rußlands mit dem Vierverband, namentlich mit
Frankreich, gefordert und der sofortige Friedenschluß ver
langt wurde. Gleichzeitig fanden in Moskau große Kund
gebungen gegen den Krieg statt (siehe Bild Seite 311). Es
zeigte sich, daß sich Rußland von Tag zu Tag mehr der Sache
Enqlands entfremdete. Mit Feuereifer waren deshalb die
russischen Kriegshetzer dabei, die Furcht vor einem un
günstigen Frieden mit Deutschland und Österreich-Ungarn
aufs neue anzustacheln. Dennoch gelang es Kerenski und
seinen Freunden nicht, das ganze Volk zu ihrer Auffassung
zu bekehren.
Eine besondere Stellung nahmen die Kosaken des Ge
nerals Kaledin ein. Diesen wählten sie zu ihrem Hetman;
und alle Anstrengungen Kercnskis, Kaledin, der wie Kor-
nilow mit den Waffen gegen ihn auftrat, zu einer Änderung
seiner Haltung zu veranlassen, schlugen fehl. Kaledin machte
sich zum Herrn gewaltiger Gebiete und stützte seine Herrschaft
mit einer ansehnlichen Streitmacht. Auch mit List gelang
es Kerenski nicht, den General zu Verhandlungen in das
russische Hauptquartier zu locken, wo er Bericht über die
Bewegung unter den Kosaken erstatten sollte. So nagten
Krieg und Aufruhr von außen und innen an dem Riesen
körper des russischen Reiches. —
Die Eroberung Rigas hatte eine verstärkte Tätigkeit der
Deutschen in und über dem Rigaischen Meerbusen mit sich
gebracht. Die Mög
lichkeit , ihn zum
Ausgangspunkt
wirkungsvollerAn-
griffe auf die rus
sische Kriegs- und
Handelsflotte zu
machen, hing in
erster Linie von
der Bezwingung
der Befestigungen
auf den Inseln im
Norden des Meer
busens, insbeson
dere derjenigen auf
der Insel Oscl, ab.
DieVerteidigungs-
anlagen von Hsel
waren schon oft
von deutschen Flie
gern angegriffen
worden, die bedeu
tende Verheerun
gen angerichtet
hatten; die russi
schen Seestreit
kräfte, die die In
sel als Stützpunkt
benutzten, gerieten
jetzt noch häufiger
als früher in Ge
fahr, durch Bom
ben aus deutschen Flugzeugen versenkt zu werden (siehe
Bild Seite 305).
Am 26. September geriet der russische Torpedoboot
zerstörer „Ochotnik" südlich von Ösel auf eine Mine und sank.
Er stammte aus dem Jahre 1906 und verdrängte 620 Tonnen;
von seiner Besatzung konnten sich nur elf Mann retten, die
nach vierundzwanzig Stunden gefahrvoller Fahrt mit ihrem
Boot ans Land gespült wurden. —
* *
*
Zum ersten Male im Verlaufe des Krieges blieb für die
Italiener die Entlastung durch die Russen aus, die ihnen
einst so besonders wertvoll gewesen war. Nur den Russen
verdankten sie es ja, daß der kraftvolle österreichisch-unga
rische Schlag zu Anfang des Jahres 1916 im Raume von
Trient nicht zum Zusammenbruch ihrer Heere geführt hatte,
und nach jeder Jsonzoschlacht waren es die Russen gewesen,
die durch größere Unternehmungen gegen die Mittelmächte
nachdrückliche österreichisch-ungarische Gegenangriffe ver
hinderten. Die elfte Schlacht am Jsonzo war eben erst ver
rauscht, aber schon wieder verlangten die Bundesgenossen
der Italiener neue Taten, weil die Engländer für das Ge
lingen ihrer dritten Schlacht in Flandern auch die leisen
Wirkungen ablenkender Angriffe auf den ferneren Krieg
schauplätzen in Rechnung stellen mußten. So mehrten sich
Übersichtskarte zum deutschen Vorstoß bei Jakobstadt.
I. Ruhestellung, II. Entenschnabel.