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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/17.
Österreichisch-ungarische Sappeure erwarten auf der Karsthochfläche Befehle.
Muster des Grabenkrieges entstand so, fast wie durch
Zauberspruch.
Am 1. März meldete der deutsche Heeresbericht, daß die
Truppen „aus besonderen Gründen" die vordersten Stel
lungen beiderseits des Ancrebaches geräumt hätten. Diese
Räumung erstreckte sich auf eine Breite von etwa 20 Kilo
metern und gab einen schmalen Streifen frei, der in seiner
größten Tiefe etwa 5 Kilometer maß. In aller Stille, un
bemerkt von: Feinde, war die Operation während des
letzten Februardrittels erfolgt. Alle Geschütze und Mate
rialien waren herausgezogen, die Unterstände unauffällig
während des Feuers gesprengt worden. Kleine Postierungen
blieben im Vorgelände als Nachhut zurück und verschleierten
tagelang den Abmarsch — sie haben tatsächlich bei den Eng
ländern den Glauben erhalten, die volle deutsche Graben-
besatzung zu bekämpfen. Es dauerte mehrere Tage, bis der
Feind sich entschloß, schüchtern vorzufühlen. Er war voll
kommen verdutzt, unschlüssig, sehr vorsichtig. Denn sobald
er in stärkeren Massen entschlossen vorging, belegten ihn
die bereitstehenden deutschen Batterien, die nur darauf ge
wartet hatten, mit einem vernichtenden Feuer. Die Witte
rung war demVor-
gehen äußerst un
günstig , Gräben
und Trichter voll
Schlamm, das
ganzeEelände auf
gewühlt und ohne
jede Unterkunft.
Denn die letzten
Stützpunkte, die
der Nachhut ge
lassen worden wa
ren, wurden von
ihr zerstört, so
bald sie ihre Auf
gabe erfüllt hatte
und spurlos ver
schwand.
Dieses war nur
der Auftakt ge
wesen. Am 16.
und 17. März er
folgte die eigent
liche Räumung des
großen Bogens
von Arras bis zur
Aisne.
Die Technik
dieser gewaltigen
Frontverlegung ist
ohneBeispielinder
Kriegsgeschichte.
Dieselben Aufgaben wie an der Ancre, nur ums vielfache
vergrößert. Räumung — das hieß zunächst: alles brauch
bare Kriegsmaterial in Sicherheit bringen, sodann: alles,
was mittelbar dem Kriege dienen konnte, mitführen oder
vernichten. Die Motorpflüge und Dreschmaschinen, die
Vorräte an Getreide und Heu, die Kirchenglocken und
anderes verwertbares Metall oder Rohmaterial, das konn
ten die Deutschen nicht dem Feinde lassen, so wenig wie
das Vieh, soweit es noch vorhanden war. Und endlich
die Menschen — was sollte mit den französischen Bürgern
und Bauern geschehen? Man konnte sie nicht einfach ihrem
Schicksal zwischen den Fronten überlassen. So wurden
sämtliche Arbeitsfähigen in das Hinterland gebracht. Der
Marquis von Folembray in langen weißen Haaren, die er
sich während der Kriegsdauer nicht schneiden lassen will,
durfte aus seinem Schlosse ebenso seine 75 Kilogramm Ge
päck mitnehmen, wie der kleine pikardische Bauer oder der
Fabrikarbeiter aus Chauny. In Hunderten von Zügen
wanderten die Einwohner ab. Städte wie Chauny, Tergnier,
La Fsre, St. Quentin entvölkerten sich rasch. Städte
wie Noyon, Ham und Nesle wiederum erhielten Zu
wachs, denn hier
wurden Frauen,
Kinder und Greise
vereinigt, um, mit
Verpflegung für
einige Tage ver
sehen, dem nach
rückenden Feinde
überlassen zu wer
den. Bedenkt man
die Belastung der
Bahnen während
dieser kritischen
Tage durch den un
geheuren Trans
port der Kriegs
güter aller Art, der
Truppen und ihrer
Ausrüstung, so er
staunt man über
die Größe und
Schwierigkeit der
hier geleisteten
Arbeit.
Aber weiter:
das Gelände mußte
nicht nur geräumt,
es mußte auch,
soweit es militä
risch geboten war,
zum Hindernis für
den Feind gemacht
Phot. Photopresse Kankowsky, Budapest.
Österreichisch.ungarische Hundebatterie der Jsonzoarmee auf der Karfthochfläche.