Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Sechster Band. (Sechster Band)

Die Geschichte des Weltkrieges 1914/17. 
(Fortsetzung.) 
Das zunächst verhältnismäßig rasche Nachrücken der 
Franzosen in dem von den Deutschen geräumten Gebiet 
verlangsamte sich gegen das Ende des Monats März erheb 
lich und paßte sich dem vorsichtigeren Vordringen der Eng 
länder mehr und mehr an. Diese standen um den 1. April 
in dem weitgestreckten Raum von der Scarpe bis zur 
Aisne auf der Linie Arras—Beaumetz—Roisel. Bei diesem 
Orte schlossen sich die Franzosen nach Süden zu an; ihre 
Mitte kämpfte in der Gegend von La Före und Laon, ihr 
rechter Flügel war an das Nordufer der Aisne angelehnt 
und suchte dort in heftigen Kümpfen vorwärtszukommen. 
Die Feinde fühlten sich in dem ihnen von den Deutschen 
freiwillig überlassenen Gebiete durchaus als Sieger und 
wähnten sich schon auf dem Wege zur deutschen Grenze. 
Zur Belebung ihrer Stimmung fehlte es nicht an auf 
peitschenden Berichten über erfundene deutsche Greuel 
taten. Die durch militärische Notwendigkeiten gebotene 
Verwüstung der Felder, Wiesen und Wälder und die Nieder 
legung von Dörfern mußten dazu dienen, die französische 
Wut von neuem zu entfachen. Unter den französischen 
Soldaten und der französischen Bevölkerung entstand infolge 
der Meldungen vom Kampfplatz eine Stimmung, wie sie 
in Deutschland 1914 jäh aufgeflammt war, als die Deutschen 
das verwüstete und zerstörte Ostpreußen den Händen der 
russischen Horden wieder entrissen hatten. 
Damals nahmen die Franzosen nur mit kaltem Spott 
von den Zerstörungen Kenntnis. Als sie jetzt in dem „be 
freiten" Gebiete erkannten, was Krieg heißt, zeigten sie 
sich im höchsten Maße entrüstet. Und doch waren die 
' durch die Deutschen herbeigeführten Zerstörungen so ganz 
anders als die von den Russen in Ostpreußen verursachten 
(siehe die Bilder Seite 310 und 311). Dort hatte sinnlose 
rohe Lust am Vernichten sich aus 
getobt und selbst vor der Ehre und 
dem Leben der Frauen, Kinder und 
Greise nicht halt gemacht. Die Bewoh 
ner waren gequält, verstümmelt und 
zu Tode gemartert worden. Ost 
preußen sah mittelalterliche Kriegs 
greuel, Frankreich nur scharfe mili 
tärische Maßnahmen, aber unter Aus 
schluß solcher, die nichts als eine über 
flüssige Härte bedeutet hätten. Die 
Sorge um die französische Zivilbevöl 
kerung ging so weit, daß diese sogar 
reichlicher mit Nahrungsmitteln ver 
sehen war als die deutschen Soldaten, 
und an bestimmten Stellen wurden 
die nachrückenden Feinde durch Schil 
der davor gewarnt, von ihrer Artil 
lerie Gebrauch zu machen, weil sie sich 
der für die Zivilbevölkerung eingerich 
teten Schutzzone näherten. Trotzdem 
suchten Engländer und Franzosen die 
Welt gegen Deutschland durch Erzäh 
lung von Greuelgeschichten aufzurei 
zen, in denen der vergiftete Brunnen 
von Barleur eine große Rolle spielte. 
In ihm wollte man am 24. März 
Arsenik entdeckt haben. Nun hatten die 
Deutschen den Ort allerdings schon am 
16. März verlassen, und seit dieser Zeit 
war der Brunnen regelmäßig benützt 
worden, ohne daß Vergiftungsfülle 
vorgekommen wären. Aber trotzdem 
— die „Hunnen" hatten das Wasser 
vergiftet. 
In Frankreich verfehlte man nicht, 
die„Wiedereroberung" der „befreiten 
Gebiete" zu feiern und von Begeiste 
rungsausbrüchen der dort ansässigen 
Bevölkerung zu erzählen. Damit kamen 
die Franzosen aber nicht über die rie 
sigen Schwierigkeiten hinweg, die sich 
ihrem Nachrücken entgegenstellten. 
Ihren ganzen Nachschub mußten sie auf rasch gebauten 
Knüppeldämmen herbeiführen, und dann waren sie sich 
auch klar darüber, daß jeder Schritt vorwärts durch die 
Wüste ein Schritt in den Tod, in neue ungekannte Gefahren 
bedeutete. 
Die Deutschen gingen zwar immer noch zurück und 
wurden in den französischen Berichten immer noch „ge 
worfen". In der feindlichen Front erkannte man wohl, 
daß man es mit schwächeren Truppenteilen zu tun hatte, 
die ihren Gegnern nur Aufenthalt bereiten und Verluste 
zufügen sollten, was sie auch ausgiebig taten. Am 26. Mürz 
fiel Roisel am Colognebach nach mehrmaligem vergeblichem 
Vorstoß der Franzosen und Engländer in die Hand der 
Feinde. Häufig unternahmen die Deutschen auch Gegen 
stöße, in deren Verlaufe sie den Feinden den erzielten Vorteil 
wieder entrissen. Ihre Gegner waren dann zu neuen ver 
lustreichen Angriffen gezwungen, denn heran an die Deut 
schen mußten sie. Die sogenannte deutsche „Siegfried 
stellung" oder die „Hindenburglinie" mußte um jeden Preis 
in kürzester Zeit erreicht werden. Erst dann war ja für die 
Feinde der Bewegungskampf mit seinen Aberraschungen und 
Aberfällen abzuschließen und Sicherheit und Ruhe zum 
Nachziehen ihrer Artillerie zu gewinnen. Darüber konnten 
noch Wochen vergehen. Vielerorts waren die Verbündeten 
aber doch in die Nähe der deutschen Hauptlinien gekommen, 
denn sie begegneten immer lebhafterem Artilleriefeuer. In 
das Bellen der leichteren Kaliber mischte sich auch schon das 
Dröhnen der schweren. 
Neue Hindernisse türmten sich vor den Truppen der 
Westmächte auf. Die Verbindungslinien waren länger ge 
worden und befanden sich im Kampfgebiet trotz aller Aus 
besserungsarbeiten in einem Zustande, der die Ergänzung 
Deutscher Horchposten mit Schalltrichter in einem Granatloch auf dem westlichen Kriegschauplatz. 
Gesetzlich vorgeschriebener Wortlaut für den Schutz gegen Nachdruck in Amerika: Copr., 1917 by Union Deutsche Berlagsgesellschaft in Stuttgart. 
VI. Band. 39
	        
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