Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Sechster Band. (Sechster Band)

232 
Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/17. 
zwanzig Minuten reicht der Lebensstoff. Sie setzten ihn ein. 
Ohne Bodensicht müssen sie zum Eleitflug übergehen — 
vielleicht krachen nach Sekunden schon Baumstämme oder 
Hausdächer gegen die Sitze. Nun denn! 
Das eisumsponnene Steuerrad folgt dem Druck der halb 
erstarrten Führerhände. Plötzlich schweben sie im Licht. 
Die tiefe Wolkenschicht jagt weit hinter ihnen. Sonnen 
glanz beizt ihnen die, Augen. Keine 100 Meter mehr sind 
sie über einem weißen Feld. Sie landen. 
Deutsche Landstürmer laufen ihnen aus den Hütten 
eiligst entgegen. Sie waren weit nach Norden abgetrieben, 
doch befanden sie sich noch im Bereich ihres Armeeober 
kommandos. 
„Wo, ist die nächste Fernsprechstation?" 
„Gleich im Dorf rechts, Herr Oberleutnant!" 
Sie melden dem Generalstabsoffizirr persönlich. Er 
dankt ihnen und verspricht, noch vor Einbruch der Dunkel 
heit das nötige Benzin beschaffen zu lassen. Langsam 
nur weicht die Starrheit aus ähren eiskalten Körpern. 
Erstürmung eines rumänischen Dorfes vor M3zil. 
Nach einer Originalzeichnung des auf dem rulnänischen Kriegschauplatz zugelassenen Kriegsmalers A. Reich-München. 
Flieger schieben die großen Brillen über ihre Sturzhelme, 
da die eisbeschlagenen Gläser jede Sicht nehmen. Scharf 
prickelt der körnige Schnee gegen die freie Eesichtshälfte. 
Oft sticht es darein wie mit Nadeln. 
Kein Blick reicht mehr nach unten, nach den Seiten. 
Sie sind vollkommen eingehüllt in jagende Kristallheere» 
jede Orientierung ist vorbei. Wohin fliegen sie, sind sie 
noch im rechten Kurs zur deutschen Front? Noch.zeigt der 
Kompaß die Linie an, die sie einhalten müssen. Doch ist 
es ungewiß, ob er den elektrischen Strömungen der Schnee 
wolke standhalten wird. Eine einzige flüchtige Entladung 
kann ihn entwerten. Dann sind sie dem Zufall preisgegeben, 
kennen nicht mehr Richtung noch Raum. Von der kleinen 
zuckenden Eisennadel hängt ihr Geschick ab, ob sie die 
wichtige Meldung vom Anmarsch der Feinde heimbringen 
werden. 
Der Wind treibt sie seitlich ab. Sie fühlen's mit dem 
feinen Instinkt der Flieger. Wieviel ... wohin ... sie 
wissen's nicht und können sich gegen die Abweichung nicht 
ter ... 1200 ... 1000... mögen sie nur aus ihren Kara 
binern schießen. 
Der Oberleutnant visiert durch sein Abwurfglas. Dann 
reißt er Bombe auf Bombe los und beugt sich aus dem 
Rumpf, soweit es nur irgend geht — wilde Verwirrung 
ist dort unten geschlagen; Pferdeleiber wälzen sich, einzelne 
Reiter jagen wie toll die Schneise entlang, die Reihen sind 
aufgelöst in Unordnung und Tumult. Die Division wird 
eine lange Zeit brauchen, sich zu sammeln. — 
Nun heißt es wenden und zurück zur Abteilung. Doch 
die Sonne ist verschwunden und jäh stürmen die dunklen 
Massen den Fliegern entgegen. 
Jetzt erst merken sie, nachdem die Spannung des 
Suchens vorüber ist, wie eiserstarrt alle ihre Glieder sind. 
Kaum kann der Führer die ersten Sturmböen parieren. 
Da weht es auch schon um sie her. Weißer Gischt rings 
um, ein Meer tanzender, wirbelnder Watteflocken. Die 
wehren, da sie den Boden nicht sehen. Anderthalb Stunden 
Flug mit Seitenwind, das können Meilen sein, die sie nach 
Nordosten geschleudert werden. 
Der Führer preßt das Steuer, tiefer zu gehen. 1000 Meter 
... nichts zu sehen, 800 ... 500 ... 200 ... Nichts! Tiefer 
ist unmöglich. Jede starke Fallbö kann sie in die Kronen 
der Bäume schmettern. 
Wo werden sie landen? Zwischen russischen Soldaten, 
um bestenfalls als Gefangene abgeführt, bei Landesein 
wohnern, um mißhandelt oder gar schimpflich erschlagen 
zu werden? Zufall ... Fliegerlos. — 
Eine entsetzliche Kältemüdigkeit schleicht sich in die Glieder 
der um jedes Kilometer Luftwsg Ringenden. Sie reißen 
sich immer wieder zusammen, es muß ein Heraus geben 
aus der Wüste tkeibenden Schnees: 
Der Benzinvorrat ist verbraucht. Das Fallbenzin, der 
letzte kleine Rest, muß in den gierig saugenden Motor. Noch
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.