Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Sechster Band. (Sechster Band)

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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/17. 
Phot. Berl. Jllustrat.-Gef. m. b. H. 
Sturmangriff österreichisch-ungarischer Truppen an dev italienischen Front. 
Mangel an Rohstoffen. Aber ein Glück für das Land 
ist es, daß sein Hauptwert und seine Hauptkraft in seinem 
Boden, in seiner Land- und Forstwirtschaft ruhen. Mit 
einer richtigen, auf wissenschaftlichen Grundsätzen fußenden 
Nutzung der ungeheuren Forsten des Landes, besonders des 
Südens, hat erst der Deutsche begonnen. Ohne Raubbau 
zu treiben und überall, wo er Holz schlug, für alsbaldige 
Wiederaufforstung besorgt, hat er Millionenwerte flüssig 
gemacht, die dem Lande und dem Bedarf des Heeres und 
der Marine zugute kommen. Die forstwirtschaftliche Er 
schließung des großen Waldes von Bialowicz, jenes ge 
waltigen kaiserlichen Jagdgeheges südlich von Bialystok, 
ist geradezu ein Muster- und Meisterwerk zu nennen, das 
um so höher anzuerkennen ist, als dem Charakter des Waldes 
als einzigartigem Naturdenkmal nicht zu nahe getreten ist. 
Und aus der Landwirtschaft des Gebietes von Obost hat 
die deutsche Verwaltung trotz der Verwüstung des Landes, 
trotz seiner Entblößung von Menschen, Vieh und Gespannen, 
trotz vielfach ausgefallener Winterbestellung.und trotz einer 
nach besseren Hoffnungen schließlich doch enttäuschenden 
Ernte dank zielbewußter umfassender Arbeit und An 
spannung aller irgend verfügbaren Kräfte der Bewohner 
und des Heeres im Wirtschaftsjahr 1915/16 mehr heraus 
geholt, als im Durchschnitt der letzten vorangegangenen 
Friedensjahre geerntet worden war. Ist dem Lande in 
dem neuen Jahr einigermaßen günstige Witterung be 
schert und bleibt es, was wir zuversichtlich hoffen, von 
kriegerischen Rückschlägen verschont, so werden wir erst recht 
erleben und ermessen können, welcher Leistungen es in 
Körner- und Futterbau, in Pferde- und Viehzucht fähig 
ist, wieviel es an Brot und Fleisch über seinen eigenen Be 
darf hinaus zu erzeugen vermag. 
Die politische Leitung des Landes ist einesteils er 
leichtert, andernteils erschwert durch die Vielsprachigkeit 
und die religiöse Spaltung. Erleichtert, weil die Gegen 
sätze in dieser Beziehung eine Zusammenballung etwa vor 
handener Bestrebungen des Widerstands verhindern, er 
schwert, weil eine schonende Rücksicht auf Volkstum und 
Religion — und die nimmt die deutsche Verwaltung in 
vollem Maß — mannigfache Umständlichkeiten mit sich 
bringt. Im Norden, in Kurland, sitzen neben den deutschen 
Rittergutsbesitzern und Stadtbürgern die protestantischen 
Letten, in Litauen überwiegend römisch-katholische Litauer, 
in Wilna-Suwalki ebenfalls Litauer, dann, besonders 
in den Städten, Polen und daneben auch schon Weiß 
russen, die in dem Bezirk Bialystok-Grodno mit ihrer 
Hauptmasse wohnen und zum Teil römisch-katholisch, zum 
Teil orthodox (griechisch-katholisch) sind. Überall dazwischen 
sitzen in sehr starken Anteilen die Juden, die sich hier, wie 
im Osten überhaupt, nicht national eingliedern, sondern 
ihr Stammesleben für sich führen, auch ihre eigene Sprache 
reden, ein aus dem Mittelhochdeutschen abgeleitetes, viel 
mit fremden Bestandteilen vermengtes Deutsch, das 
„Jiddisch". Endlich finden sich vielfach eingesprengte 
kleinere oder größere Reste alter deutscher Kolonien. Im 
allgemeinen kommt die deutsche Verwaltung mit der Be 
völkerung aller Stämme und Konfessionen gut aus. Was 
sie abzuwehren hat, sind da und dort auftretende Versuche 
eines bestimmten Volkes, Übergewicht und Vorzugsrechte 
vor den anderen zu gewinnen. Besonders die Polen sind 
darin sehr eifrig. Das gibt es natürlich nicht; gleiches Recht 
für alle ist unbedingter Grundsatz. Für die Strenge der 
Stammes- und Rassenschranken ist es aber bezeichnend, 
daß zum Beispiel die Armenfürsorge Wilnas — sie hat ein 
reiches Feld — nur in der Form einheitlich zu regeln war, 
daß man die Unzahl konfessioneller und nationaler Sonder 
organisationen in einer lose darüber gesetzten städtischen 
Armenkommission zusammenfaßte. In der mit den Wilnaer 
Arbeitsstuben, einer sehr segensreichen, vornehmlich dem 
Jugendschutz dienenden Einrichtung, verbundenen Aus 
stellung heimischer Gewerbserzeugnisse mußten je eine ge 
sonderte litauische, weißrussische, polnische und jiddische Ab 
teilung geschaffen werden, in der jeder Stamm seine Kunst 
fertigkeit besonders zeigen konnte. Und so geht es durch 
alle Erscheinungen des öffentlichen Lebens hindurch. Das 
spezifisch Russische, trotz aller Russifizierungsanstrengungen 
auf eine dünne Oberschicht beschränkt, die mit dem russischen 
Heere abgezogen war, spielt keine Rolle mehr. Die deutsche 
Verwaltung setzt als Vermittlungssprache überall das 
Deutsche ein. Deutsch ist, soweit es irgend praktisch angeht, 
die Sprache der Behörden und des öffentlichen Verkehrs, 
alle Aufschriften an den öffentlichen Gebäuden, Straßen» 
Läden sind deutsch, allein oder neben der oder den Landes 
sprachen, in allen öffentlichen Bekanntmachungen steht das 
Deutsche den örtlichen Sprachen voran. Die Juden, die 
meist vermöge ihres Dialekts auch das Hochdeutsche ver 
stehen, bilden die geborenen Dolmetscher. In allen Schulen 
wird von der untersten bis zur obersten Stufe in möglichst 
vielen Stunden Deutsch gelehrt, das Lehrpersonal, auch 
das einheimische, soll es im Verkehr mit der vorgesetzten
	        
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