Die Geschichte des Weltkrieges 1914/19
I Fortsetzung.)
Seii der Erneuerung des Waffenstillstandes an 17. Fe
bruar war wieder fast ein Monat verstrichen, ohne daß
Deutschland dem Frieden näher gekommen war. Die
Feinde ließen sich in dieser Hinsicht Zeit trotz der großen
Not, die allmählich alle Bande der Ordnung in Deutsch
land zu lösen und es der völligen Anarchie in die Arme
zu treiben drohte. Gegen das wehrlos gewordene Deutsche
Reich hielten England, Frankreich, Italien und die Ver
einigten Staaten immer noch 13 300 000 Mann unter
Waffen, wovon auf England 4 600 000, auf Frankreich
3 800 000 Mann entfielen. Eine Notwendigkeit zur Auf
rechterhaltung solcher Truppenmassen lag keineswegs vor,
besonders da die Feinde die völkerrechtswidrige Hunger
blockade, die eigentliche Ursache für das ihnen günstige
Endergebnis des Krieges, in aller Strenge fortbestehen
ließen. Das
erregte nicht
nur in neu
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Am 4. März
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lieferung wieder aufgenommen. Die Gegner erklärten sich
zwar bereit, den Deutschen 270000 Tonnen Lebensmittel
zukommen zu lassen, verlangten aber die Auslieferung der
ganzen deutschen Handelsflotte, ohne daß sie bestimmte
Zusagen für die weitere Versorgung Deutschlands machen
wollten. Auf die Zumutungen der Gegner konnte die von
dem Unterstaatssekretär v. Braun geführte deutsche Ab-
ordnung nicht eingehen, denn die Handelschiffe wären
Deutschland verloren gewesen, und der Hunger wäre ein
treuer Gast im Lande geblieben. Eine Einigung ließ sich nicht
erzielen,^ und so wurden die Verhandlungen unterbrochen.
Erst mm 13. März um elf Uhr vormittags traten die
Unterhändler in Brüssel von neuern zusammen. Gleich
zeitig fanden in Rotterdam Besprechungen deutscher und
feindlicher Vertreter über Rohstofflieferungen durch Deutsch
land statt, wobei es sich in erster Linie um Kohle, Kali
und Holz handelte. Die Beratungen in Brüssel verliefen
für die Deutschen wenigstens etwas günstiger als jene in
Spaa. Anr 15. März wurde ein Abkommen unterzeichnet,
wonach Deutschland, sobald es die nötigen Schiffe schickte
und Vorauszahlung geleistet chatte, zunächst 270 000 Ton
nen Lebensmittel sofort bekommen sollte. Außerdem erhielt
Deutschland das Recht, monatlich bis zu 70 000 Tonnen
Fett und 300 000 Tonnen Brotgetreide oder ihren Gegen
wert an anderen ländlichen Nahrungsmitteln zu kaufen
und einzuführen. Die Käufe konnten ebenso in den feind
lichen wie in neutralen Ländern abgeschlossen werden.
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fige Sicherheit für Vorschüsse zu dienen hatte.
* *
*
Am 13. März traf Präsident Wilson wieder in dem
französischen Hafen Brest ein,' er begab sich sofort nach
Paris, um an den weiteren Vorbesprechungen für den
Friedenschluß teilzunehmen. In seiner Abwesenheit hatte
man in Paris rasche und gründliche Arbeit geleistet, um
den Deutschen ein Wiederaufrichten nach Möglichkeit zu
erschweren. Als Wilson in Paris erschien, standen die
neuen Grenzen Deutschlands, so wie sie die Franzosen,
Polen und Tschechen erwarteten, schon fest, trotz der von
Phot. H. Hoffmaun, München. Phot. Emma Wiemann, Hamburg.
Dr. Adolf Müller, Dr. Karl Melchior, Professor Dr. Schücking.
bayrischer Gesandter in Bern, Hamburg, Marburg,
wurden zusammen mit dem Grafen v. Brockdorff-Rantzau, Reichsminister Dr. Eduard David und Reichsminister
Giesberts von der deutschen Regierung als Unterhändler zu den Friedensverhandlungen entsandt.
General v. Lettow-Vorbeck mit Gouverneur Dr. Schnee und seiner ostafrikanischen Heldenschar nach ihrer Ankunft in Berlin.
IX. Band.