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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/19.
Abtransport kriegsgefangener Russen, Rumänen und Südslawen auf dev Donau bei Regensburg
er den Militärstaaksanwalk
.Kapitän Bouchardon beauf
tragte. Man verhaftete ver
dächtige Russen und entlarvte
gegen Ende Februar einige
Mitglieder des russischen No
ten Kreuzes, die angeblich für
die russischen Flüchtlinge und
Gefangenen sorgen wollten,
als bolfchewistischeWerber. —
In den Vereinigten
Staaten kam man um die
Mitte des Februars einer
weitverzweigten Verschwö
rung auf die Spur, deren
Opfer außer dem Präsidenten
Wilson eine Anzahl der füh
renden amerikanischen Indu
strie- und Geldmünner wer
den sollten. Obgleich die
Polizei, um die Öffentlichkeit
zu beruhigen, die Beteiligung
der Bolschewiki an dem An
schlag abzustreiten suchte, lies;
sich nicht mehr verheimlichen,
daß der Bolschewismus auch
in den Vereinigten Staaten
Wurzel geschlagen hatte. In
Lenins Einladung zur ersten
Zusammenkunft der komnm-
uistischen Internationale wur
den nicht weniger als vier
politische oder gewerkschaft
liche Gruppen ausgezählt, die
als vollberechtigte Mitglieder
der „DrittenInternationale",
der Kommunisten, zu gelten
hätten. Die stärkste unter
diesen Gruppen war die der
„Unabhängigen Arbeiter der
Welt". —
In England gab es sechs
kommunistische Gruppen und
Vereinigungen, darunter die
„sliop Stewards“, die nichts
anderes waren, als die Be
triebsräte der Arbeiter in den
Fabriken nach russisch-deut
schem Muster. Ihrer Tätig
keit war in erster Linie die
Zunahme der Streike zuzu
schreiben, die seit Mitte Fe
bruar in allen Jndustrieplützen
Englands ausbrachen und in
Birmingham und in Elas-
gow(siehedieBilderSeite471)
größeren Uinfangannahmeu.
Während diese Streike ab
flauten, bereiteten die eng
lischen Gewerkschaftsführer
der Bergarbeiter, Eisenbah
ner und Seeleute für den
15. März einen Massenstreik vor, der für das englische
Wirtschaftsleben gefahrvoll werden konnte. Die englische
Regierung bemühte sich unter Führung Lloyd Georges,
den Streik zu verhindern, bei dem es sich nicht um die
Erreichung höherer Löhne handelte, sondern um die sofortige
Sozialisierung der Bergwerke und des Verkehrswesens. Die
Arbeiter waren in der Lage, diese Maä)tprobe zu wagen,
weil sie sicher sein konnten, daß ein großer Teil des engli
schen Heeres nicht gegen sie vorgehen würde. —
Deutschland wurde abermals von einer sozialistisch-
bolschewistischen Sturmflut heimgesucht, die die sich eben
anbahnende Ordnung des Reiches wieder zu vernichten
drohte. Der neue schwere Wirtschaftskampf, der fast ganz
Deutschland in seinen Strudel zog, war ebensosehr auf po
litische wie auf wirtschaftliche Ziele gerichtet und entsprang
dem Mißtrauen breiter Arbeiterschichten gegen die Landes
versammlungen und der steigenden Unzufriedenheit mit der
verfassunggebenden Reichsversammlung in Weimar, deren
Verhandlungen anscheinend in fruchtloses Parteigezänk über
gingen. Besonders unzufrieden war man mit der deut
schen Waffenstillstandskommission. Uber ihre Zusammen
setzung und ihre Leistungen fand eine Aussprache statt, nach
der aber alles beim alten blieb. Unter Parteihader und
Mangel an Offenherzigkeit und Entschlußkraft litten auch
die Auseinandersetzungen über das Notgesetz zur Schaffung
einer Volkswehr und über die endgültige Verfassung. Das
«r:
Nach einer Originalzeichnung von Fritz Neumann.
Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/19.
Gesetz über die Schaffung der „Reichswehr" war eine ur
kundliche Bestätigung der traurigen und hoffnungslosen
militärischen Lage, in der sich Deutschland nach seinem Zu
sammenbruch befand. Das Ursprungsland der allgemeinen
Dienstpflicht sah sich gezwungen, ein Söldnerheer aufzu
stellen. Dessen Grundlage bildeten die schon bestehenden
Freiwilligenverbände, die auf 260 000 Mann gebracht wer
den sollten, denn militärischen Schutzes bedurfte Deutsch
land dringend zur Abwehr der Tschechen, Polen und Bol
schewiki. Mit den schon bestehenden Freiwilligenregimen
tern hatte man bisher nicht immer die besten Erfahrungen
gemacht. Als es im Osten gegen Polen und Bolschewiki
zum Kampf kam, liefen eine ganze Anzahl Kompanien
davon.
Die neue Reichsverfas
sung, deren Entwurf der
Reichsversammlung zur Be
schlußfassung vorlag, gab
ebenfalls zu parteitaktischen
Zusammenstößen reichlich Ge
legenheit. DieVerhandlungen
wurden immer inhaltloser,
und im Volke nahm die Un
zufriedenheit zu, die Ende
Februar in Unruhen ihren
Ausdruck fand.
Rach der Beruhigung der
nordwestdeutschen " Küsten
plätze war Düsseldorf der
Herd neuer Aufstünde gewor
den, die sich über das ganze
Ruhrgebiet (siehe die Bilder
Seite 472 und 473) verbrei
teten. Die Regierung (siehe
Bild Seite 466) zog gegen die
Aufständischen, von Russen
unt erstützt e und g eführt e K om -
munisten, in Westfalen Trup
pen zusammen. Das schreckte
aber die Spartakisten nicht ab.
Sie gewannen einen großen
Teil der Arbeiterschaft für
einen Generalstreik mit der
Behauptung, daß die Regie
rung die Sozialisierung der
Bergwerke hintertreibe.
Dieser Vorwurf hatte den
Anschein der Berechtigung,
weil die Regierung, die einige
Wochen vorher noch eine große
Bereitschaft zu Verhandlun
gen bekundet hatte, plötzlich
verhandlungsunlustig war
und sich um die Neunerab
ordnung der Bergarbeiter des
Kohlengebietes in Rheinland-
Westfalen offenbar nicht mehr
kümmerte. Diese aus je drei
Mitgliedern der drei sozia
listischen Parteien bestehende
Abordnungwar vonden Berg
arbeitern bestimmt worden,
zusammen mit der Regierung
eine geordnete Sozialisierung
einzuleiten, um den Folgen
der wilden Sozialisierung, die
bereits an einigen Stellen ein
gesetzt hatte, zu begegnen.
Obgleich die Regierung ge
willt war, die Sozialisierung
der Bergwerke in kurzer Zeit
durchzuführen, erweckte ihr
Verhalten doch den Eindruck
der Lauheit, so daß es bös
willigen Arbeiterführern leicht
wurde, ihre Anhängerschaft
zum offenen Kampf aufzu
hetzen. Daraus entsprang ein
Massenstreik in Westdeutsch
land, bei dem die Spartakisten
vor keiner Greueltat zurückscheuten, die geeignet war, die
ruhiger denkenden Kameraden von der Arbeit abzuschrecken.
Man mordete und plünderte, vernichtete Förderseile und
schnitt die unter der Erde Arbeitenden von der Verbindung
mit der Oberwelt ab. Am 21. Februar verfügte die Re
gierung über genügend Truppen zur Riederkämpfung der
Aufrührer, sie machte aber erst viel später von ihrer Macht
Gebrauch, weil sie, um Blutvergießen zu vermeiden, einen
Friedensvertrag mit den Spartakisten geschlossen hatte, den
diese aber nicht innehielten.
Während die Ordnung im Ruhrrevier notdürftig wieder
hergestellt wurde, entstanden in Bayern Unruhen, die zeit
weilig auch auf Württemberg und Baden übergriffen. Die
Ursache des neuen Aufstandes in Bayern war der Gegen-