Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Neunter Band. (Neunter Band)

Die Geschichte des Weltkrieges 1914/19. 
«Fortsetzung.» 
Am ü. Februar, nachmittags dreieinviertel Uhr, eröffnete 
der Volksbeauftraate Ebert im Saal des Nationaltheaters in 
Weimar die verfassunggebende deutsche Reichsversamm» 
lung, die berufen sei», sollte, dem neuen Deutschland feste 
Grundlagen zu schaffen (siehe Bild Seite 452/453). Eberts 
Ai spräche, mit der ein neuer Abschnitt der deutschen Ge 
schichte eingeleitet wurde, war ein Rechenschaftsbericht über 
die Zeit vom 9. November 1918 bis zum 6. Februar 1919 
und ein Ausblick in die Zukunft. Der Volksbeauftragte 
führte aus, daß kaum eine Zeit so unsagbare Enttäu 
schungen für das deutsche Volk gebracht hätte wie die 
zurückliegenden drei Monate; schuld daran sei nicht allein 
das traurige; Erbe, das die Sozialdemokraten angetreten 
hätten, sondern auch die unglückliche Art, wie die wenigen 
noch vorhandenen guten Posten dieses Erbes verwaltet 
worden waren. Die wesentlichste Ursache dieser unerfreu 
lichen Dinge. lag zweifellos in der Spaltring innerhalb der 
sozialistischen deutschen Arbeiterschaft, die die Regierung 
an sich gerissen hatte. Darunter litt das ganze Reich nach 
innen und außen. Eberts Rede atmete nicht nur sozialisti 
schen Parteigeist, sondern sie klang auch ehrlich deutsch und 
»rational. Der Redner legte schärfste Verwahrung gegen die 
bei den Friedensbesprechungen in Paris zutage getretenen 
Rache- und Vergewaltigungspläne der Feinde ein; er 
warnte die Gegner, ihre Rücksichtslosigkeit gegen Deutsch 
lands Lebensnotwendigkeiten bis zum äußersten zu trei 
ben, und erwartete vom deutschen Volke lieber den Willen 
zu Entbehrungen als zu Entehrungen. Er schloß seine 
Rede mit den Worten Fichtes: „Wir wollen errichten ein 
Reich des Rechtes und der Wahrhaftigkeit, gegründet auf 
Gleichheit alles dessen, was Menschenantlitz trägt." 
Daran schloß sich die E.klärung Eberts, daß die gegen 
wärtige Regierung ihren Auftrag der Reichsversammlung 
zur Verfügung stelle, ebenso wie der Zentralrat der Ar 
beiter- und Soldatenräte, der vorläufige Inhaber und Re 
präsentant der Souveränität im Reiche (siehe untenstehen 
des Bild), in seiner Kundgebung vom 4. Februar seine Be 
fugnisse in die Hände der Reichsversammlung gelegt hatte. 
Rach der Wahl des Vorstandes der Reichsversammlung: 
Di. Eduard David als Vorsitzender, Konrad Haußmann, 
Fehrenbach und Dietrich als dessen Stellvertreter, schritt 
man zur Bildung der parlamentarischen Regierung. 
Die sozialistischen Volksbeauftragten wollten die Regie 
rung auf eine möglichst breite Parteigrundlage gestellt 
wissen. Die drei stärksten Parteien der Reichsversamm- 
lung: Sozialdeinokraten, Christlichsoziale oder Zentrum und 
Demokraten, waren zum Eintritt in die Regierung bereit, 
wogegen die Unabhängigen eine Beteiligung ablehnten. 
Die Regierungsparteien kamen überein, der Sozialdemo 
kratie, der weitaus stärksten Partei, die wichtigsten und 
meisten Plätze in der Regierung einzuräumen; sie sollte 
vor allem die Präside»»ten des Reichs und des Ministeriums 
stellen. 
Die Wahl des ersten deutschen Reichspräsidenten er 
folgte in der Sitzu»»g der Reichsversammlung am 11. Fe 
bruar. Auf den bisherigen Volksbeauftragten Fritz Ebert 
entfielen von den anwesenden 397 Abgeordneten 277 Stim- 
»nen; er war somit gewählt. Der Reichspräsident, dessen 
Lebensgang wir in einem späteren Artikel aus hierzu be 
sonders berufener Feder schildern, bot nach seinen bis 
herige»» Tatei» die Gewähr, daß er sich gewissenhaft an die 
von ihm bei der Annahme des Aintes abgegebene Vet- 
sicherung halten würde: „Ich will und werde als Beauf 
tragter des ganzen deutschen Volkes handeln, nicht als Vor- 
mairn einer einzigen Partei. — Die Freiheit aller Deutschen 
zu schützen mit dem äußersten Aufgebot von Kräft und Hin 
gabe, dessen ich fähig bin, das ist der Schwur) den ich in 
dieser Stunde in die Hände der Rationalversainmlung lege." 
Der Präsident beauftragte verfassungsgemäß den Sozial 
demokraten Scheidemann als Präsidenten des Reichs- 
Äon links: Grzesinski, Struve, Faasi, Pfaff, Horter, Maier, Knoblauch, Heller, Herbert, Zwosia, Cohen (Vorsitzender), Lamp'l, Leinert (Vorsitzender), 
Waeger (Schriftführer), Schäfer (Kassierer), Kohl, König. 
Eine Sitzung des Zentralrates der A.-> und S.-Räte in Berlin, der als bisheriger Inhaber und Repräsentant der Souveränität im Reiche seine 
Befugnisse an die Nationalversammlung übergeben hat. 
IX. Balld. 57
	        
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